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, den 4. 7. 1926

Sehr geehrter Herr Siebeck!

Heute erhielt ich eine Abschrift Ihres Briefes1] an Herrn de Man. Es tut mir sehr Leid, daß Sie den Plan haben fallen lassen; ich hoffe aber, daß ich nicht daran Schuld bin. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es für die Sache das Beste wäre, wenn Sie die Zeitschrift übernähmen, und ich bin überzeugt, daß bei der Art und Zahl der in Aussicht genommenen Mitarbeiter Sie reichlich Abonnenten finden würden. Vielleicht ist es doch noch einmal möglich, auf den Plan zurückzukommen. Was die Sammlung der Vorträge betrifft, so befinde ich mich noch im Status der abstrakten Erwägungen, hoffe aber bald weiter zu kommen. Die Hauptarbeit liegt augenblicklich auf dem "Dämonenvortrag". Ich muß ihn völlig neu arbeiten – im Unterschied zu meinem damaligen Vortrag über "Kultur undReligion Kirche". Und nun habe ich eine Bitte: Ist es Ihnen möglich, mir 100 M als Honorar-Vorschuß gleich zu übersenden. Ich mußte nämlich mein ganzes Monatsgehalt für Kind-Geburts-Rechnungen verwenden, und müßte jetzt, um existieren zu können, einige Zeitungs-Aufsätze schreiben, was ich sehr gern zu Gunsten des Dämonen-Vortrags vermeiden möchte. Ich würde dann in spätestens 10 Tagen das Manuskript an Sie schicken können.

Inzwischen habe ich von Reichl den Vertragsentwurf für die Dogmatik bekommen. Ich habe noch nicht unterschrieben. Hier liegen die Dinge ähnlich: Um an der Sache zu arbeiten, muß ich die Hände frei haben. Um die Hände frei zu haben, muß ich die Schulden für die Rechnung los sein, die mich ständig zu Vorträgen etc. zwingen. Ich bedaure es sehr, daß in diese Zeit der ständigen Produktivität die Notwendigkeit fällt, eine "Aussteuer" aufzubringen. Ob Reichl mir durch einen Vorschuß hilft, ist mir zweifelhaft --- und Sie? Ich weiß ja, daß es für jeden jetzt schwierig ist, auch nur die Summen, die für mich in Frage kommen, also ca 1000 M aufzubringen. Andererseits habe ich nicht das Vermögen, Arbeitsruhe und Schuldenlast zu vereinigen.

Mit herzlichem Gruße!
Ihr sehr ergebener P. Tillich.
    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    • de Man, Hendrik (Belgischer Sozialpsychologe, Theoretiker des Sozialismus, Politiker und Publizist)
    • Siebeck, Oskar (Deutscher Verleger)
    • Reichl, Otto (Erwähnt als: "gemeinsamen Verleger" zu Tillch, von Goedela Gräfin Keyserling-Bismarck in "1931.11.07. Keyserling-Bismarck, Gräfin G. an Tillich, P.")
    • Tillich, Paul (Theologe; Religionsphilosoph; Pfarrer;)

    Orte:

    Literatur:

    • Tillich, Paul, Das Dämonische. Ein Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte (Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte, Nr. 119), Tübingen 1926 
    • Tillich, Paul, Kirche und Kultur (Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet Theologie und Religionsgeschichte, Nr. 111), Tübingen 1924, S. 1-22.