Sehr geehrter Herr Siebeck!
Heute erhielt ich eine Abschrift Ihres Briefes1] an Herrn de Man. Es tut mir sehr
Leid, daß Sie den Plan haben fallen lassen; ich hoffe aber, daß ich
nicht daran Schuld bin. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es für die Sache das
Beste wäre, wenn Sie die Zeitschrift übernähmen, und ich bin überzeugt, daß bei der
Art und Zahl der in Aussicht genommenen Mitarbeiter Sie reichlich Abonnenten finden
würden. Vielleicht ist es doch noch einmal möglich, auf den Plan zurückzukommen. Was
die Sammlung der Vorträge betrifft, so befinde ich mich noch im Status der abstrakten
Erwägungen, hoffe aber bald weiter zu kommen. Die Hauptarbeit liegt augenblicklich
auf dem "Dämonenvortrag". Ich muß ihn
völlig neu arbeiten – im Unterschied zu meinem damaligen Vortrag über "Kultur undReligion
Kirche". Und nun habe ich eine Bitte: Ist es Ihnen möglich, mir 100 M als
Honorar-Vorschuß gleich zu übersenden. Ich mußte nämlich mein
ganzes Monatsgehalt für Kind-Geburts-Rechnungen verwenden, und müßte jetzt, um
existieren zu können, einige Zeitungs-Aufsätze schreiben, was ich sehr
gern zu Gunsten des Dämonen-Vortrags vermeiden möchte. Ich würde dann in spätestens 10 Tagen das
Manuskript an Sie schicken können.
Inzwischen habe ich von Reichl den Vertragsentwurf für die Dogmatik bekommen. Ich habe noch nicht unterschrieben. Hier liegen die Dinge ähnlich: Um an der Sache zu arbeiten, muß ich die Hände frei haben. Um die Hände frei zu haben, muß ich die Schulden für die Rechnung los sein, die mich ständig zu Vorträgen etc. zwingen. Ich bedaure es sehr, daß in diese Zeit der ständigen Produktivität die Notwendigkeit fällt, eine "Aussteuer" aufzubringen. Ob Reichl mir durch einen Vorschuß hilft, ist mir zweifelhaft --- und Sie? Ich weiß ja, daß es für jeden jetzt schwierig ist, auch nur die Summen, die für mich in Frage kommen, also ca 1000 M aufzubringen. Andererseits habe ich nicht das Vermögen, Arbeitsruhe und Schuldenlast zu vereinigen.
Mit herzlichem Gruße!