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Montag Nachmittag1]

Liebes Hannahchen!

Heut erhielt ich Deinen Brief2] und antworte gleich. Zunächst auf Dein Beiblatt! Du hast Recht damit, daß der Ankauf ein richtiger Leichtsinn war. Ich sah den Seidenglanz, die herumwühlenden Menschen und den unglaublichen Preis, da war es schon geschehen! Aber ist es mir nicht immer so gegangen, wenn wir durch Straßen und Läden gingen, und ich Dir etwas Schönes schenken wollte, und Du es nur mühsam mit Aufwand aller Energie verhindert hast! Ich glaube doch, daß es bei Dir, die andere Seite der Sache war – und vielleicht noch ist! Aber Du tust Unrecht daran. Es ist zwischen uns nichts als ein gutes menschliches Vertrauensverhältnis, das wir uns beide hüten, auch nur im Geringsten zu überschreiten, und über das ich mich freue, weil es die Überwindung eines jahrelangen Mißtrauens ist. Auch Du solltest Dich freuen, da es die Position gegenüber den Eltern und Geschwistern3] sehr verstärkt. – – – –

Seit heut früh ist Lisel in der Pflege, die sie Tag und Nacht in Anspruch nimmt. Sie hat gleich am ersten Tag mit der Mutter gesprochen, die natürlich alles ahnte, aber sehr ruhig und vernünftig war. Eben komme ich von der Unterhaltung mit dem Vater, der erst furchtbar jammerte; dann alles guthieß. Jetzt sind die beiden allein. Ich habe aber vorher der Mutter gesagt, daß es zum Bruch mit uns allen kommen würde, wenn er sich dazwischen mengte. Abends nehme ich die Mutter in einen Vortrag von Rittelmeyer (Christengemeinschaft) mit. Am Sonnabend Abend war der Vortrag vonRostock Althaus, Rostock, meinem Gießener Hauptkonkurrenten.4] Er war recht schwach, und ich hatte die Aufgabe, die Diskussion zu eröffnen, wobei ich zum ersten Mal mit Bultmann ganz einig war. Er selbst tobte dann los und sagte, daß er während des Vortrages ein Grauen gehabt hätte – vor dem überfüllten Saal. Nachher saßen | wir noch alle bei Heiler. Althaus bat mich, doch nicht ganz mit ihm auseinanderzugehen; rührend, nicht wahr! Von Gießen wußte er weniger als ich. – Auf den Kampf mit Rittelmeyer bin ich gespannt. Er spricht auch morgen Nachmittag noch über Priestertum, um Theologen zu gewinnen. – – –

Ich schlafe in der Kammer neben Helmut5], von heute ab wegen der großen Wärme im Zimmer von Lisel, die auf ihrer Pflege auch Nachts bleiben muß. Arbeiten tue ich auf meinem Zimmer bei ¿¿¿. Der Ofen wird Tag und Nacht in Betrieb gehalten. So habe ich meine Ruhe und Arbeitsstimmung. Natürlich ist das Hin- und Herlaufen sehr lästig, zumal nach dem Abendbrot. – Ich habe das große Bild herausgeschmissen und durch 2 van Goghs ersetzt; außerdem Ulli aufgehängt, der sich hier sehr gut macht und die beiden Decken verwendet. So ist’s ganz gemütlich.

Post ist viel aberkeine wesentliche gekommen. Die Zeitung kommt noch immer nicht! Bitte veranlasse doch ihre Umbestellung, eventuell durch Postkarte an das Postzeitungsamt Friedenau, Handjerystraße! –

Ich habe mich zum Sonnabend Abend in Köln angemeldet. Hoffentlich bist Du noch vorher hier! Aber selbstverständlich geht jetzt die sachliche Notwendigkeit all meinen Wünschen und Sehnsüchten vor. Aber wenn es irgend geht, kommst Du, ja?

Und nun das Letzte und für Dich sicher etwas Betrübliche: Goesch hat sich für Dienstag Abend oder später (er will telegraphieren) für hier angemeldet. Ich werde ihn sofort zu Dir nach Berlin schicken. Denn daß Ihr hier noch zusammentrefft, ist ja unwahrscheinlich. Ich freue mich sehr auf ihn. Vielleicht telegraphierenDirwir, wann er bei Dir eintrifft,

Leb' wohl, liebes süßes Hannahchen!
Dein Paul.
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    • Jasper, Gotthard, Paul Althaus (1888-1966). Professor, Prediger und Patriot in seiner Zeit, Göttingen 2013. 
    • Danz, Christian/Schüßler, Werner, Paul Tillich in Dresden. Einleitung, in: Dies. (Hg.), Paul Tillich in Dresden. Intellektuellen-Diskurse in der Weimarer Republik, Berlin/Boston 2023, S. 1-7. 
    • Althaus, Paul, Das Problem der Kirche im Protestantismus, verm. unpubliziert.