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Mein lieber Paul!

Habt Ihr schon einmal an mich gedacht? Schon einen ganzen Monat sind wir jetzt hier und es ist so schön und wir zwei werden jeden Tag froher. Ich hatte das nie so gedacht, daß es immer schöner würde je länger man zusammen wäre. Aber es ist so, daß sich die Tiefen erst ganz langsam auftun und man ganz sacht und langsam hinter die Geheimnisse schauen darf. Es ist auch so fein, daß Erich und ich als zwei Kinder an alles herankommen und daher des Staunens kein Ende finden. Ach, Paul, es ist so schön, nur einen Mann zu haben und ich könnte jetzt garnicht mehr anders, denn so ganz richtig mit allem dabei sein kann man nur bei dem Einen. Und so merkwürdig ist das, daß man das auch dann so ganz genau weiß, so unbedingt sicher weiß. Und ich schreibe Dir, weil ich Dir in vielem so dankbar bin, jetzt immer mehr weiß, was Du mir doch warst und wie gut die Augustinischen Stunden und all das Schwere, was in Ihnen war, mir getan hat. Ich bin überhaupt dankbar für alles was ich in jeder Sekunde meines Lebens erleben durfte. Hier in der Ruhe kann ich das alles jetzt noch einmal an mir vorüberziehen lassen und geformt kommt so vieles wieder empor, nur daß ich jetzt wissend bin, oder wissender. Viele Stunden bin ich am Tag allein, in denen ich für mich tun kann, was ich will. Ich lese Spengler II, mit und ohne Opposition. Ich lebe jetzt eigentlich "geschichtslos" wie ein Tier, bald eine fettwerdende Kuh, bald auch irgend eine Raubkatze. Viel faulenze ich, und| nach den hetzigen Jahren tat das so unendlich gut. Und es ist eben eine Faulenzerei, die Sinn hat, denn die Stunden, die ich dabei mit Erich verbringe sind so schwer beladen, daß sie tausendmal wichtiger sind als meine Lic. arbeit. Erich muß ja unglaublich arbeiten, er ist mindestens neun Stunden im Betrieb oft noch mehr. Und er macht nicht einfach den Betrieb, sondern arbeitet noch wissenschaftlich nebenher, teils sachlich, teils anders. Dann kommt er oft so ganz gespannt heim, so daß jeder Nerv schwingt und das ist herrlich, oder er kommt auch ganz müde, daß er wie ein Mehlsack ist und schläft. Aber Liebhaben tut er mich immerzu, und ich bin so selig, weil er schon ganz anders aussieht. Er kriegt wieder so einen weichen Mund, und seine Stimme wird viel tiefer und klangvoller noch. In allem durchschaut er mich immer. Und stolz bin ich auf ihn, er ist wohl der klügste und begabteste unter den jungen Ingenieuren die hier sind, und wird von "oben" mit ganz sanften Händen angefaßt. Viele der Ingenieure sind so richtig eklige Kerle, die nur arbeiten und saufen. Andere sind aber dann so ganz anders, sehr lebendig und offen für alles, oft ganz stark künstlerisch irgendwo, und manchmal sagen sie dann so was, daß man ganz erstaunt aufhorcht. Ich werde von meinem theologischen Hochmut immer mehr geheilt und das ist gut, daß ich so die ganz andere Seite des Lebens kennen lerne. Die sehen alle poetischen, wirtschaftlichen und philosophischen Fragen von einer ganz anderen Seite her, manchmal aber ganz fein, und ich lerne viel davon. Den Arbeitern gegenüber merkt man nichts von kapitalistischem| Hochmut, aber auch nichts von "socialem Empfinden". Die sind einfach ihre Kameraden. Eigentlich sind sie Socialisten allesamt in dem, was sie tun. Das Schönste von Völklingen ist die Hütte. Neulich Nachts war ich mit Erich die Schlackenmühle inspizieren, es lag hoher Schnee, wir gingen auf die Landstraße ein gutes Stück. Auf einmal drehte ich mich um und sah die Hütte da liegen, ein ungeheures Komplex von riesigen Maschinen und Bauten und tausend tausend Lichtern. Und dann die hellen Flammen emporspritzend, und die ganze Landschaft lag in einem zarten Rosa da, dann spürte man das ewig tobende Leben in der Hütte, rings darum die ruhenden weißen Wälder, man kam sich vor als ob man hier die ganze Welt und alles darin, beide Pole, auf einmal umspannt hielt. Das ist überhaupt das Merkwürdige an der Saarindustrie und den Saararbeitern, daß Industrie und Natur eins sind, ganz unmerklich ineinander geschoben, und die Arbeiter sind Bauern, an die Scholle gewachsen und doch heimtalos. Völklingen ist ein regelrechtes Industriekaff, scheußlich, und zwei Minuten weiter merkst Du nichts mehr davon. – Ein richtiges Zusammenleben der Menschen gibt es hier nicht, wir leben ganz allein für uns, ganz ganz selten sind wir mit ein paar Leuten mal zusammen. Ich finde das schön so und kann das ein Jahr wohl so gut und gerne haben. Und dann sind wir am Weggehen. Ich drängle ja, Erich soll ins Ausland. Hoffentlich wird es was! Und dann haben wir vielleicht auch ein Kind. Du weißt ja, wie ich das immer schon wollte, und es wäre für mich einfach zum Sterben wenn ich keine kriegen| könnte. – Das ist so ein Erzählbrief geworden aber eigentlich wollte ich Euch ja von mir erzählen. Jetzt kann mich leider niemand schon besuchen, die Franzosen lassen niemand rein und wir haben noch keinen Platz. Unsere zwei Zimmer sind klein aber wir fühlen uns so wohl darin. Ich bin froh daß ich nicht Kochen muß. Und unser Wohnzimmer habe ich mit Decken und Kissen und meinen Bildern und vielen Blumen schön gemacht, ich bin so gern jetzt drin. Jetzt wißt Ihr alles und fühlt wohl, wie schön es ist. Schreibt nur einmal wieder, denn ich möchte gern auch als Margot Faust mit teilhaben an Deiner Arbeit und dem, was Euch das Leben bringt.

Eure Margot.
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    Personen:

    Literatur:

    • Spengler, Oswald, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, 2. Bd (Welthistorische Perspektiven), München 1924 (1. Aufl. 1922).