Der editierte Text

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Sehr verehrter Herr Doktor (Details anzeigen),

die Herren Verlagsbuchhändler Ruprecht (Details anzeigen) haben mir die erfreuliche Mitteilung gemacht, dass Sie geneigt seien, die „Wege zur Philosophie“ wirklich zu Wegen zur Philosophie auszubauen, was sie ja leider bis jetzt nur sehr teilweise gewesen sind. Sie haben die erschienenen Bände erhalten, und Ihr Auge wird sicher gleich bemerkt haben, wo die Fehler stecken. Der Hauptfehler war gleich im Anfang der, dass man keinen Gesamtplan entworfen hatte, sondern dass Herr Professor D. Steinmann (Details anzeigen) die Themata, die ich sozusagen aus dem Aermel geschüttelt hatte, sans façon übernahm und ausführen liess.

Es hätte viel sorgfältiger überlegt werden müssen, welchen Weg überhaupt das Unternehmen nehmen sollte. Auch das Ziel hätte deutlich ins Auge gefasst werden müssen, zu welchem der Leser geführt werden soll. Ich hatte an mir selbst erfahren, welche Förderung im Verständnis der Philosophie ich erhielt, als ich solche Gegensätze wie Erkenntnis durch Vernunft und durch Erfahrung, logisch und psychologisch fundierte Erkenntnis, mechanistisch und teleologisch gerichtete Metaphysik erfasst hatte. Dadurch wurde mir das Gebiet der Geschichte der Philosophie übersichtlich. Es bekam Ordnung. Ich erfasste, welche Einstellung Philosophen wie Platon (Details anzeigen) und Protagoras (Details anzeigen), Husserl (Details anzeigen) und Sigwart (Details anzeigen), Leukipp (Details anzeigen) und Aristoteles (Details anzeigen) innehatten, und damit bahnte sich die Möglichkeit eines ersten Verständnisses ihrer Denkarbeit an. Aber das Eindringen in die oben genannten Gegensatzpaare verdanke ich nicht den bekannten „Einleitungen“, sondern das Verständnis ging mir durch Gespräche, durch eigenes Denken auf nach endlosen Irrfahrten und dunklem Umhertappen.

Da sagte ich mir, diese Umwege sollte man dem Leser abkürzen, man sollte ihn auf gebahnten und bezeichneten Wegen zur Philosophie führen, nicht indem er, wie Külpe (Details anzeigen) und die meisten Einleitungen es machen, durch das ganze Gebiet der Philosophie gehetzt wird, wobei es ihm schwindeln muss vor Systemen, Namen, Terminis, sondern indem er durch ein Problem zum Verständnis, zum wirklichen Erfassen eines der oben genannten oder anderer Gegensatzpaare geführt wird. Dann von einem andern Problem aus wieder zu dem gleichen Gegensatzpaar, bis er bemerkt: aha! Das ist hier doch ein wichtiger Gesichtspunkt und dann wird ihm das Gegensatzpaar in einem besonderen Bändchen nochmals in seinen wichtigsten Vertretern (ja keine Vollständigkeit!) in der Philosophiegeschichte vorgeführt. Endzweck ist dann Lektüre der Philosophen selbst. Hübsche kleine Auswahlen mit Lesestützen, wie sie Otto (Details anzeigen) in seiner schönen Ausgabe von „Schleiermachers Reden (Details anzeigen)“ gemacht hat.

Aber keiner der Herren Mitarbeiter hat diesen Gedanken recht verstanden, sondern jeder hat sozusagen sein Steckenpferd geritten, seinen Standpunkt hervorgekehrt, der natürlich für ihn der einzig richtige war. Hier kommt es aber noch gar nicht auf solche „richtige Standpunkte“ an. Der Lernende sollte überhaupt in erster Linie sich als „Werdender“ fühlen, der noch nicht „ist“. Er wird dann schon selbst entscheiden, welcher Philosoph, welche Philosophie seinem Wesen am meisten entspricht, ob er Empiriker, ob Transszendentalist usw. ist.

Das war also beabsichtigt. Was daraus geworden ist, sehen Sie. Da nun das Unternehmen schon angefangen ist, so gilt es to make the best of it, d.h. die alten Bändchen so gut es geht einzubauen in das Neue, was Sie schaffen wollen. Vielleicht machen Sie einmal einen Plan und legen mir Ihre Gedanken vor. Ich werde sie ganz verschwiegen behandeln. Sie werden mit Ihrer viel grösseren Einsicht in das ganze Gebiet dieser Wissenschaft sicher mit vollen Händen geben können, wo ich nur einige Gedanken aus mir herauszupfen kann. Ich stehe heute von der Philosophie innerlich sehr weit ab. Die Dogmatik eines Joh. Tob. Beck (Details anzeigen) scheint mir ein viel umfassenderes und richtigeres Weltbild zu geben, als jede Philosophie. Aber das ist meine Privatmeinung.

Ich lege Ihnen hier eine Sammlung verschiedener Schriftstücke vor, die im Laufe der Jahre in Bezug auf die „W. z. Ph.“ entstanden sind. Vielleicht überfliegen Sie sie einmal.- Ich würde mich aufrichtig freuen, wenn Sie aus den sporadischen Anfängen doch noch ein Ganzes bilden könnten. Hier handelt es sich um keine populäre Wassersuppe, sondern um Anleitung zum wirklichen Erfassen philosophischer Probleme, zum philosophischen Denken. Die vielen Tausende von Studenten, Studentinnen, Hochschülern, von denen die meisten doch mit Philosophie Fühlung nehmen wollen, sind die Adressaten, für die die Sammlung gemacht wird. Heute ist sie zeitgemässer als je.

Ich würde mich sehr freuen, recht bald von Ihnen zu hören und empfehle mich Ihnen als Ihr sehr ergebener

Liebe Herren (Details anzeigen)!

Hier sende ich Ihnen meinen Brief an Herrn Dr. Tillich (Details anzeigen) als Durchschlag. Sollten Sie mit irgend etwas nicht einverstanden sein, so bitte ich gleich um Mitteilung. Hoffentlich kann ich Ihnen nutzen.

Mit frdl Gruß

Ihr Albers (Details anzeigen)


Fußnoten, Anmerkungen

Register

aTillich, Paul
cSteinmann, Theophil
dPlaton
eProtagoras
fHusserl, Edmund
gSigwart, Christoph
hLeucippus
iAristoteles
jKülpe, Oswald
kOtto, Rudolf
lRitschl, Schleiermachers Reden über die Religion und ihre Nachwirkungen auf die evan..., 1874
mJoh. Tob. Beck
oTillich, Paul
pAlbers, August

Überlieferung

Signatur
Deutschland, Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek zu Berlin, Archiv des Verlages Vandenhoeck und Ruprecht
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
München - unbekannt

Entitäten

Personen

Literatur

Zitiervorschlag

Brief von August Albers an Paul Tillich vom 7. April 1920, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00662.html, Zugriff am ????.

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