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D. 16. November 1916

Mein liebes Großmütterlein!

Nachdem ich nun mehr seit August keine Nachricht mehr von der Neuenburgerstr.1] bekommen habe, wohl aber einen Brief von Tante Grete aus StettinStettin, will ich meine Zuflucht zu Dir nehmen. Denn ich weiß, daß wenn auch Vater und Pflegemutter, Schwester und Schwager einen vergessen, die Großmutter doch immer des Enkels gedenkt, der sie und den sie auf den Armen getragen hat! Ich freue mich, daß Du in der Neuenburgerstr. bist; es ist mir ein lieber Gedanke, Euch alle zusammen zu wissen, und ich sehe ordentlich die Gemütlichkeit vergangener Zeiten, von denen ich hoffe, daß sie| auch jetzt nicht fehlt. Ich beneide den oder die, der den Platz zu Deiner Rechten hat, meinen Stammplatz, den ich wohl noch einmal einnehmen möchte! Ich habe mich etwas geängstigt, als ich hörte, daß es Dir nicht ganz gut ginge, und ich freue mich um so mehr, daß Du nun wieder in Ordnung bist, meine liebe junge Großmama! – Ist Tante Grete noch in Stettin? Sie liebt diese große Kleinstadt ja sehr, wie ich auch, sie wegen der Menschen, ich wegen der Schiffe! -- Über Alfred und Johanna habe ich nicht mal einen dunklen Begriff. Ob Berlin, Butterfelde| oder Bremen ist mir völlig unbekannt. Ob Frede zurück ist und sonstige neugierige Fragen darf man wohl gar nicht mehr stellen.

Ich wohne in einem netten Blockhäuschen im Aisnetal, nicht weit von den Argonnen. Es ist ruhig und friedlich hier, infolgedessen viel Predigtarbeit, aber auch viel Zeit; so daß ich sogar noch etwas zu wissenschaftlichen Sachen komme, was dem Geist wie der erste Tropfen Milch dem Heißhungrigen ist. Aber man muß langsam essen, so entwöhnt ist man der reinen Vernunft.

Daß wir die Somme hinter uns haben,| hast Du wohl gehört; es waren schwere Tage für die Truppen und ernste Tage für uns. Hoffentlich bleiben wir noch lange hier in der ruhigen Stellung. Verdun war ein schwerer Schlag für uns. Nicht nur, daß alles verloren ist, was auch unsere Division gewonnen hat, sondern noch darüber hinaus sind sie gekommen. Und das mit ganz geringen Verlusten, nicht den hundertsten Teil von dem, was es uns gekostet hat. Auch über Polen ist außer mir, der einen gewissen romantischen Idealismus hat, jeder entsetzt ---- Wie gern würde ich mit Dir über all das reden, oder vielmehr Deine temperamentvollen Fragen hören, wenn Papa und ich reden --- Es war einmal, alles war einmal.

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