Der editierte Text

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a d. 31. Mai 1915.
Lieber b!

Es war an Himmelfahrt Nachmittag 5 Uhr; ich kam in meinem Dokart1 von einem hinteren Ort angefahren, wo ich Gottesdienst gehabt hatte. In c sah ich alles in Gruppen mit etwas bedrippten Gesichtern herumstehen. d kam aus einer Höhle herausgekrochen. e rief mir zu: Sie kommen gerade recht zur Beschießung; ich fuhr sehr friedlich in meinen Hof, ging dann heraus und hörte gerade noch, wie die letzte Granate dicht neben dem Lazareth niederging. Dann sah ich mir die Löcher im Obstgarten des Divisionsgebäudes an, hörte, daß die Wasserleitung kaput [sic!] geschossen sei und hatte Vorahnungen, daß etwas geschehen würde. Und in der Tat wurden die nächsten Tage von den Stabsoffizieren benutzt, um f zur längst gewünschten Übersiedlung nach g zu bewegen, einem herrlich gelegenen, gut erhaltenen Schloß. Dabei glaubte jeder, daß die Beschießung mehr Zufall als Absicht war, durch den Westwind veranlaßte Abweichungen einer sehr langen Flugbahn oder drgl; aber niemand durfte das aussprechen. So wurde h herumgekriegt; daß wir Pfarrer so weit zurück mitgingen war nicht gut möglich, zumal das Lazareth in i blieb; so wurde befohlen, daß kj in l bleiben, und die beiden m zum Brigadestab kamen; es war dies zugleich eine Freundlichkeit n, des Adjudanten gegen mich, da die Zuerteilung zur Brigade zweifellos das Angenehmere| war. – Am Dienstag war allgemeiner Umzug; um 9 Uhr fuhr der Lastwagen von der Brigade mit 6 Pferden und 1 Vorreiter vor mein Haus und o leitete das Aufladen. Ich selbst aber wandelte die Pfade der Räuber und Diebe und stahl aus dem Stabsgebäude eine riesige wundervolle Vase – die aus der Verrerie2 gestohlen war – mehrere Vorhänge, Sessel u. s. w. und ließ mit auf den Wagen bringen; als alles gepackt war, kam der q; ich stieg mit der Vase in der einen, mit dem Hund in der andern Hand hoch oben auf meine Möbel und wurde photographiert. Dann fuhr der Möbelwagen ab und ich verabschiedete mich von r und den übrigen Herren, stieg mit s und Hund in meinen Dokart und fuhr dem Möbelwagen nach, den ich sehr bald, auf der Römerstraße einholte; und dann fuhr ich Schritt für Schritt hinter meinen Möbeln her, ein seltsamer Umzug mitten im Krieg, und dachte der langen Monate hinter mir und meiner Sehnsucht, wegzukommen von t, und wie es mir jetzt so schwer wurde, als es wirklich wegging. Es gibt kaum eine größere Kraft als die Gewohnheit, und ich stehe besonders in ihrer Gewalt. – So rumpelten wir in u ein; auf der Terrasse hielt der Möbelwagen und mit Hilfe von 2 kräftigen Artilleristen räumte ich mein Zimmer ein... 3 Tage später zog ich ins Nebenzimmer, das besser tapeziert war und habe es im Lauf der Zeit so eingerichtet, wie ich neulich beschrieben habe. Es ist jetzt das Prunkzimmer des Hauses und sicher eines der schönsten in der Division. Wie es dazu kam, dann morgen mehr....

In Treue Dein
v.

Rundlauf wie der erste w; schnell an x!


Fußnoten, Anmerkungen

1Ein Dogcart ist eine kleine Kutsche.
2Mit Verrerie ist wahrscheinlich entweder die Glashütte von Vauxrot (franz. Varrerie de Vauxrot) oder die Kapelle im nahegelegenen p gemeint, die den Spitznamen La Verrerie trägt.

Register

aJuvigny (Aisne)
bTillich, Johannes Oskar
cBieuxy
dBonin, Henning von
eBackhaus, Alwin
fBonin, Henning von
gCrécy-au-Mont
hBonin, Henning von
iBieuxy
jBackhaus, Alwin
kFörster
lBieuxy
mTillich, Paul
nPulkowski, ???
oSchröder
pCuffies02880
qMüller, ???
rBonin, Henning von
sSchröder
tBieuxy
uJuvigny (Aisne)
vTillich, Paul
wBrief von Paul Tillich an Johannes Tillich vom 28. Mai 1915
xTillich, Margarete

Überlieferung

Signatur
USA, Cambdridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974, bMS 649/193(13)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Juvigny - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Johannes Tillich vom 30. Mai 1915
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Johannes Tillich vom 9. August 1915

Entitäten

Personen

Orte

Briefe

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Johannes Tillich vom 31. Mai 1915, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00438.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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