|
Bieuxy, d. 20.Nov. 1914.

Mein liebes, liebes Wumming!

Als Wichtigstes muß ich Dir das Menü mitteilen, das ich gestern Abend nach Ankunft von Trudchens Karte mit Wummmings Unterschrift gegessen und getrunken habe nicht zu meinem, sondern zu seinem Wohl, obgleich es auch mir recht wohl getan hat. [N.B. Es war eine fremde Exzellenz da].

  • Königinnen-Suppe.-
  • Champignons mit Kalbszunge.-
  • Ente mit Rosenkohl und Apfelmus.-
  • Süße Speise.-
  • Butter und [Käse]
  • Kaffee.-

Dazu a) Weißwein.b)Sekt.

Mit letzterem hat meine Umgebung auf das Wohl von Deutschlands Zukunft getrunken. Mehr konnte das Entrée des neu gewonnenen Weltbürgers nicht recht gefeiert werden, wenigstens nicht in Frankreich. Mein Telegramm , das natürlich bezüglich der Taufe ernst gemeint ist, habt Ihr hoffentlich bekommen, ebenso die reizende Karte von Backhaus.

Soweit das Formelle; nunmehr treten wir in die materielle Betrachtung der Sache ein, die natürhlich allerhand| Seiten hat und wie alles Materielle, dialektisch ist.

Dies letzte trifft nun freilich nicht zu für Frede, der von jetzt an einen definitiven Ausdruck für seinen schlechthinnigen Pessimismus gefunden hat, nämlich den: "Natürlich schon wieder voll..."; was "voll" ist und womit, verbietet mir der Wohlanstand zu sagen.

Bei Wumming dagegen ist die Sache schon recht dialektisch. Denn einerseits muß sie mit Fichte behaupten, daß die Sphäre des Daseins in Bezug auf Hildebrand, Kunibert, Augustin Fritz (oder was für drei Silben sonst sein Wesentliches bezeichnen sollen) erst mit dem Tage der ersten Ich-Sagung beginnt, insofern sich dort erst beginnende Moralfähigkeit zeigt; andererseits wird sie aus höchst eigener Erfahrung zugeben müssen, daß gewisse Anzeichen für die Daseinssphäre besagten Kuniberts etc. sich schon erheblich geltend gemacht haben, resp. in Form von kausalen Affektionen der Nasen- und Ohr-Nerven täglich neu geltend machen. Somit stellt sich in obgenanntem Hildebrand od. drgl. einNnicht-seiendes Sein dar oder das Dialektische selbst.

Was nun Onkel Paul betrifft, so ist er eben Onkel und das sagt manches. Es sagt einerseits eine Negation aus, nämlich, daß er nicht Vater ist, andererseits| eine Position, daß er die allgemeine Generationsstufe des Vaters erreicht hat, zu den "Vätern" im potentiellen Sinne gehört. Das letztere ist nun aber zugleich konkret gemeint, nämlich daß er denkt ‒ so zu weilen wenn er die andere Seite der dialektischen Schaukel vergißt – er wäre selbst der Vater, und dann, da er sich statt in Berlin, bei Paris – wie sich das für Onkels geziemt – befindet, nicht mit der Hand, aber im Geist besagten Augustin etc. auf seine Arme nimmt, ihn in die tabulas rasasseiner hoffentlich dunkelblauen Kinderaugen kuckt, sich auf seinen Schimmel schwingt, der ob der ungeheuren Mehrbelastung einen Galopp über die schneeglänzenden, sonnigen Felder macht, und Onkel und Neffen der Unendlichkeit zuträgt--- Nur fürchte ich, daß nach diesem Ritt die negative Seite meiner Onklichkeit sich dahin geltend machen wird, daß ein entsetztes Wumming und ein grimmig blickender Frede mir den Geraubten energisch und für längere Zeit abfordern werden. Aber den Ritt über Paris und zur Unendlichkeit hat er doch mit mir gemacht und wird er nicht so leicht vergessen... und wenn er gar meine Ohren hat...!

|

Aus diesen Sprüngen meiner Phantasie werdet Ihr ermessen, wie vergnügt mich die Nachricht gemacht hat. Nur um Wumming hab ich noch etwas Sorge und bitte, solange es ihr noch minder gut geht, um tägliche Bulletins. Hier ist jetzt das schönste Wetter geworden, genau am 14ten Nachm. 4 Uhr fing es natürlich an, da große Ereignisse ihr Licht weithin werfen; es ist so kalt, daß man denkt in Rußland zu sein, Reif und Schnee bedecken die Felder und in der Ferne hört man die Kanonen des III. Corps donnern.

Im übrigen habe ich drei Bitten.

  • Zu Weihnachten eine neue Reithose, genau wie die erste bei Peek und Cloppenburg; nur soll das Wildleder die ganzen Kniee bedecken.
  • Sofort Schuhöl von Salamander Friedrichstr. 2-3 Kapseln, zu fragen im Laden für braune Offiziersstiefel, dazu mehrere Büchsen gelber Schuhcrème.
  • Für die Weihnachtsbäume, für die wir sorgen müssen, 100 weiße Kerzen (unsere kleine Sorte), ebenso viel Halter und 12 Schachteln Engelshaar.

Und nun, liebes Wumming, laß es Dir gut gehn! Es freut sich mit Dir,

Dein ältester Junge!

Meinen Brief an Elis. soll auch Greti bekommen.

    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    Orte: