Gestern erhielt ich Papas Brief mit den
verschiedenen Fragen. Also: Meine Division hat 2 Brigaden, die 13. und 14te. Die 13te befehligt General von Dreßler; dazu gehören die
Reg. 27 u. 36 (Halle), außerdem
ein Bataillon Jäger Nr. 4 (Naumburg) befehligt
von einem Oberstleutnant Kinzl. Zur 14. Brigade,
die befehligt wird von General v. Winkowsky gehören
die Regimenter 66 und 72, natürlich immer mit dem Zusatz: Reserve. Zur Division als
solcher gehört noch ein Kavallerieregiment, „schwere Reiter“ d. h. ein
Reserveregiment zu den Halberstädter
Kürassieren;
ferner ein Regiment Feldartillerie, Oberstleutnant Krubin, dann die „Große Bagage“, Munitionskolonnen und
Fliegerabteilungen. Da das Höchstmögliche ein Batallion für den
Gottesdienst
ist1],
könnt Ihr Euch denken, wieviel wir zu tun haben, wenn wir durchkommen wollen. Aber
natürlich ist die Infanterie lange nicht immer erreichbar. --
Der Kommandierende
des Korps ist Exz. von Gronau, der Armeeführer ist
Kluck. Bei unserem Stabe befinden sich jetzt
folgende Leute, angeordnet nach unserm Sitzen bei Tisch: Links von Exz. der Generalstäbler Hauptmann Ahrens, der alles macht und faktisch die militärische Leitung der
Division hat, Exz. schwebt darüber, was aber im
Sinne eines Lobes gemeint |
ist. Ahrens
ist ein Kraftmensch, wiegt über 2 Zentner, ohne darum dick zu sein, ist höchst
intelligent und hat einen unerschöpflichen Vorrat von Kraftausdrücken zur Verfügung;
er ist katholisch; neben ihm Rittmeister von
Peskatore, lang, schneidig, Novarle, absolut aristokratisch und unbedingt korrekt; dabei von den
weisesten Interessen, mir außerordentlich sympathisch, auch katholisch, Rittergut
in
Mecklenburg;dann er
ist zweiter
Adjudant.
Dann der Kommandant unseres Quartiers, Oberleutnant Freud, Gutsbesitzer, schimpft auf Arbeiter, möchte nach Haus,
persönlich sehr liebenswürdig; auch katholisch. Dann der katholische Pfarrer
Dietrich, schwarz gekleidet, zart,
liebenswürdig, fanatischer Franzosenhasser, scherzend, meistens nichts tuend. Dann
Gerichtssekretär Hereike, brummig, fühlt sich nicht
wohl unter den Offizieren. Dann mein Kollege Backhaus. Dann der Oberstabsarzt Rosental, nicht Jude, nicht ganz ohne zynischen Anstrich, aber riesig
liebenswürdig, will, daß ich nicht so viel arbeite. Dann der Kriegsgerichtsrat
Müller, sehr liebenswürdig, besonders am Anfang
nahm er sich meiner an. Dann ein Jägeroberleutnant Bogmann, in Kiel Assessor,
zurückhaltend, klug, gewitzt. Dann |
ein Herr von Cordier,
Oberleutnant der Feldtelephonabteilung, Ingenieur bei Krupp, kennt Immanuel
Fritz sehr gut. Dann ich. Dann der Oberarzt Theel,
Adjudant des Oberstabsarztes, Freund von Richard Hafemann von der Pepi¿¿¿ her. Dann Hauptmann Bolkansky,
der erste Adjudant zur Rechten von Exzellenz; das
sind der Knaben alle. Daß ich neben dem Oberarzt sitze, wird Papa gewiß freuen. Gestern bin ich nun auch Typhus-geimpft; es war
Kriegsbefehl; es tut ziemlich weh und verursacht etwas Fieber. – Mit Backhaus wohne ich in einem Zimmer. Wir besprechen alles
und verteilen uns dann; jetzt arbeiten wir immer zusammen in den
Abendmahlsgottesdiensten; wenn möglich, nehmen wir noch einen
Lazarethpfarrer zur Hilfe, so habe ich neulich unter Assistenz eines
Lazarethpfarrers und eines Feldwebels, der Pastor ist, 740 Mann das
Abendmahl in einer Stunde gegeben, in einem Hofe, z.T. unter einer offenen Scheune.
Morgen, Bußtag ist hier Abendmahl; Backhaus und ich
gehen auch. Backhaus hält die Rede, ich die
Liturgie. Sonntag hatte ich einen anstrengenden Tag, erst hier beim Stabe
Gottesdienst, dann das große Abendmahl, wo ich |
die Rede hatte. Dann am
Nachmittag sollte ich in einem ziemlich entfernten Dorfe 2 Gefallene beerdigen; ich
bekam ein Auto und blieb mit ihm stecken, ging zu den in der Nähe stehenden schweren
Reitern, bat den Kommandeur um 10 Mann, die das Auto aus dem Dreck holten und für
mich um ein Pferd und einen Reiter, dann ritt ich los, kam um 7 an; die Beerdigung
war schon gewesen, aß bei ein Paar Ärzten, die gefangen gewesen waren,
Abendbrot, und ritt dann mit den Reitern (ich hatte 2 zur Begleitung bekommen)
zurück. Beleuchtet wurde unsererSch¿¿¿ Weg durch eine weiß-
und rotglühende Scheune oben auf dem Berg, die am Morgen während meines
Gottesdienstes in Brand geschossen war; wir hatten während meiner Rede die Granaten
zischen hören. Wir ritten Schritt durch ein Tal und ich fing an, Choräle zu pfeifen
und die beiden pfiffen und sangen mit während des ganzen Rittes; es war für mich wie
ein sehr stimmungsvoller Gottesdienst. Im letzten Dorf gings dann in schnellem Trab
auf dem feinen Kavalleriepferd durch die Nacht. |
Mein Schimmel bewährt
sich glänzend. Gestern ritt ich mit ihm 3½ Stunden durch Dreck und Regen schnellen
Trab und es schadete ihm nichts. – Für Papas Brief bin ich sehr dankbar, wie überhaupt für alles, was
von Hause kommt. So in manchen Dämmerungsstunden merkt man doch, daß man nicht zu
Hause ist, sondern recht weit in allerlei Schrecknissen. Da ist dann die Ankunft der
Post immer der große Moment, der entweder eine Freude oder eine Enttäuschung bringt.
Für die Zeitung bin ich sehr dankbar und bitte sehr, sie weiter zu bestellen. Heute
bekam ich die vom 13ten, also nur 4 Tage Unterschied. Wichtige
Ereignisse erfahren wir durch Zeitungsdienst und Funksprüche sehr schnell, und sehr
schnell ist dann auch der Sekt da – trotz Frede.
Vielen Dank für seine Briefe; sie sind beide angekommen. Von dem
Gret
habe ich einige ganz wundervolle Briefe bekommen, die immer meine ganze Wonne sind;
es scheint also, daß alles ankommt; auch von Eckhardt und Käthe Neumeister und
Edith kam was an, dito zwei Wingolfsbriefe, von denen einer eine Notiz
über mich und meinen Kanonenvortrag enthält. Was Sendungen
betrifft, so steht Hildebrandschokolade und „Buchstaben“ in erster
Linie, Sandtorte von Tante Emma und Quittenbrot von
Gret, waren auch |
↓Schickt
sofort 50-100 Briefumschläge!↓ nicht unerwünscht. Sehr erquicklich
sind Dinge zum Knabbern in jeder Form und Gestalt. Zigarren an meinen Burschen
Schröder, Offiziersbursche, Stab der 7.
Res.-Division sind hin und wieder gut; doch haben wir an solchen Dingen ziemlichen
Überfluß. Den neuen Waffenrock trage ich immer außer wenn ich
in Funktion trete. Talar und Lutherrock werden wohl in derselben Packung, wie
abgegangen, wieder zurückkommen. – Über Unvorsichtigkeit braucht Papa keine Angst zu haben, im Gegenteil, ich bin eher zu
vorsichtig, was leicht zu falscher Ängstlichkeit führt.
Hier wurde bekannt, daß
in den Kämpfen vor Ypern bis etwa vor 8 Tagen die
dort versammelten 10 Armeekorps 58000 Tote und Verwundete gehabt haben, eine
schreckliche Zahl. Hier sind neulich bei der 20 stündigen Kanonade, b. der die
Franzosen mindestens 20000 Granaten gegen einen Schützengraben warfen, 30 Leute
gefallen und 60 verwundet. Bei dem dann folgenden Angriff, der sehr schlapp war,
wurden die Franzosen ganz leicht zurückgeworfen und hatten ca. 200 Tote und
Verwundete: Ein erstaunlicher Mißerfolg, der die Unfähigkeit der französischen
Infanter. zeigt, die nicht mehr zum Sturm zu bringen ist.