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Lichtenrade , den 17.09.1913

Lieber Tillich,

warum tun Sie das? Daß sie mich hier warten lassen, wo ich ganz genau weiß, daß Sie in Berlin sind? Sie hätten mir doch schreiben können, wann Sie kommen! Nun erwarte ich Sie stündlich — vergeblich.— Aber das darf nicht sein! Ich kann ja nichts tun, in der beständigen Erwartung. 2 x kann man Sie telephonisch nicht erreichen!— Mir würde es am besten passen, wenn Sie Donnerstag Nachmittag kämen, etwa um 4 Uhr. Dann könnte ich mit Ihnen spazieren gehen, wir könnten alles besprechen.— Aber noch eins. Sie dürfen nicht etwa Ihr Hiersein, wie etwas betrachten, das möglichst schnell erledigt werden muß. Sondern Sie sollen den ganzen Nachmittag u.und Abend hierbleiben. Wenn Sie es so eilig abtun wollen, dann komme ich nicht zur vernünftigen Überlegung, und alles hat keinen Zweck. Haben sie wirklich Angst vor mir?— das dürfen Sie nicht. Ich bin auch ziemlich ruhig — nicht gleichgültig. Geben sie möglichst schnell Antwort, ich kann die be| ständige Spannung nicht ertragen. Also, wenn Sie nicht umgehend absagen, erwarte ich Sie morgen Donnerstag mit 338 auf dem Bahnhof; Bitte, lieber Tillich, enttäuschen Sie mich nicht. Ich kann nicht mehr! Seien Sie doch auch etwas tapfer, und verletzen Sie mich nicht — durch Schweigen oder allzu kurzes Hiersein! Kommen Sie! Was soll ich denn sonst machen? Ich bin doch ganz wehrlos, wenn Sie mich einfach im Stiche lassen? Aber das glaube ich nie von Ihnen, auch wenn Sie immerzu schweigen. Sie dürfen nicht "mit Furcht und Zittern" kommen, sondern mit Freude! Also morgen 338. Tun Sie mir das zu Liebe!

Ihre
Maria Klein.
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