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Halle a/S 30.3.07.
Gübenstr. 21

Mein lieber Paul!

Wie geht es Dir nun eigentl.? Für Deine Karte1] und Deine freundliche Einladung vielen Dank! Aber sieh, wenn Vater mich, damit ich arbeite, hier läßt, kann ich unmögl. zu Dir nach Berlin fahren. Außerdem würde Stosch dann wutentbrannt sein, da er mich etwa zum 5. Mal eingeladen hat, ohne daß ich je gekommen wäre. Also sei nicht bös! Mir geht es auch hier außerordentlich gut, und ich feiere in der Stille ein schönes Ostern. Ja, ich kann Dir| sagen, daß es sehr schön ist, einmal so ganz allein zu sein. Sepp ist ja nun auch zu Haus. Es hat mich sehr gefreut, daß er gefahren ist. Er sah doch recht blaß aus u. hatte immer Kopfweh. Jens ist mit seiner ganzen Familie nach Bielefeld gefahren. So sind Fritsch u. ich hier allein. Von Witte habe ich noch nichts gesehen, außer einmal flüchtig, obgleich er nun schon 1 Woche hier ist. In den Ferien sieht man sich schwerer als im Semester. Dafür spukt mir Windelband im Kopf herum. Ich bin jetzt bei den Apologeten, müßte aber eigentl. nach dem Plan schon 60 Sei| ten weiter sein. Das Deprimierenste daran ist aber, daß ich jetzt schon denke, daß es am schlausten wäre, wenn ich es gleich im Semester noch einmal durcharbeitete. Dann würde ich es vielleicht capieren. Man vergißt so enorm viel. Schlatters Gl. muß noch hintanstehen. Nun muß ich auch noch eine Arbeit für Schmuhl machen. Na, es ist jedenfalls sehr angenehm, wenn man so den ganzen Tag mit Arbeiten ausfüllen muß. Dann hat man bei Zeiten der Ruhe ein enorm schönes u. befriedigendes Gefühl. Man muß sich eben nicht über Mißerfolge u. Dösen etc. bei der Arbeit ärgern. Bei Schmuhl bin ich| morgens fast tägl. Er arbeitet an der Einleitung ins N.T., die er noch nicht gelesen hat. Abends 3 Minimal kann ich immer hingehen. Dann muß ich aus Richters Selbstbiographie vorlesen. Seine Mutter u. Schwester sind, scheints ständig, da. Bei Kähler bin ich natürlich viel. Jetzt muß ich ihm öfter Pauken helfen bei seinen Büchern. Ach, das ist fein. Neulich hat er mir die Korrekturbögen von seinen dogmat. Zeitfragen geschenkt.

Doch nun leb wohl! Hoffentlich geht es Dir recht gut!
Herzl. Gruß u. fröhliche Ostern! Dein Lorenz.
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    • Schlatter, Adolf, Der Glaube im Neuen Testament. Eine Untersuchung zur neutestamentlichen Theologie. Leiden 1885 
    • Kähler, Martin, Dogmatische Zeitfragen. Alte und neue Ausführungen zur Wissenschaft der christlichen Lehre, 2. Band: Angewandte Dogmen, Deichert, Leipzig 1908.