Der editierte Text

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a. 19. III. 07
Liebes b!

Nur geschwind will ich Dir ein paar Worte schreiben, alldieweil u. sintemalen ich durch das Wingolfsblättle heute mehreremale an Dich energisch erinnert worden bin. Nun falls Du noch nicht von selbst gemerkt hast, daß Du "unreif" bist, so weißt Du es jetzt u. merkst es Dir hoffentlich. Aber im Ernst, man könnte sich ärgern; daß auch gute Absichten u. das Tun nach bestem Wissen u. Gewissen so gehässig beurteilt wird, wie dies geschieht. Aber nun haben wirs ja oft genug gepredigt, daß es nicht aufs Urteil irgendwelcher Leute ankommt, sondern auf etwas Anderes. Allerdings mußt Du im Tun wohl noch etwas| zulernen. Es wurde mir von verschiedenen Seiten gesagt, als ich weggewesen sei, habe man doch gemerkt, wie es in c eigentlich aussehe. Jedenfalls ist jetzt genug geredet, es wird am besten sein, wenn man gleich zu Anfang des neuen Sem. den A Antrag auf Aufhebung des Aktivitätszwangs stellt, "weil man eben doch auf eine rechte Einigkeit verzichten müsse u. um die vorigen Reibereien wegzuschaffen." Schmerzlich aber wahr.

Ich fühle mich recht behaglich fern von den Geschäften. Bin froh den Stumpfsinn loszuhaben. Bis vor 2 Tagen war ich in d u. mit meiner Mutter zusammen. Dort will der Frühling schon mächtig kommen, aber dies Mal macht er mehr Weh u. Schmerz. Wenn überall das Leben erwacht u. das Liebste bleibt tot. Doch was sage ich es lebt ja. Aber| so heidnische Gedanken kommen einem eben; jedenfalls je schöner die Welt sein will; desto mehr fühle ich, daß das Schönste darin mir fehlt. Ich wollte es ja schon tragen, aber meines Mutterchens Schmerz ist so groß, u. es ist schwer, ihn anzusehen. Auch das nach Hause kommen ist eben ganz anders jetzt. Doch Du weißt ja aus eigener Erfahrung u. kannst mich verstehen.

Ich habe mich wieder mit Begeisterung hinter meinen e gemacht. Er ist ein zu begabter Kerl. Nächstdem will ich auch noch hebräisch lernen, aber ich habe kein [sic!] Lust dazu. Abends bin ich meist in einem Vortrag. f ist mal wieder hier u. ich höre ihn ganz gerne. Doch merkt man jetzt erst, was man v. g gehabt hat, denn manche Gedanken, die er als besonders interessant brachte, kannte ich schon. Er hat mit h inso| fern eine gewisse Ähnlichkeit, als er auch eine feine durchdachte Psychologie hat. Manches stoßt ab, aber es sind dann immer i Gedanken mit denen er in Konflikt kommt.

Sonst war ich noch in einem Vortrag über Kunststile, Rokoko etc. Aber dafür interessierst Du Dich ja nicht. Dann in der Johannespassion. Gestern Abend war ich in einem Vortrag der j, von dem Du wohl schon gehört hast. Sie hat eine große Seemannsmission u. ist eine sympathische Erscheinung, für sie gilt jedenfalls das "Weib schweige in der Gemeinde" nicht!

Du lernst wohl den ganzen Tag Bundesstatuten auswendig. Viel Vergnügen! Ich hoffe Du pflegst Dein Körperchen u. gehst fleißig spazieren avec ta soeur.

Mit herzlichem Gruß Dein
k

Falls l noch bei Dir ist grüße ihn


Fußnoten, Anmerkungen

Register

aStuttgart
bTillich, Paul
cHalle (Saale)
dHeidelberg (Deutschland)
eLuther, Martin
fMüller, Johannes
gLütgert, Wilhelm
hLütgert, Wilhelm
iKähler, Martin
jSchimmelmann, Adeline von
kFritz, Alfred
lKilger, Albert

Überlieferung

Signatur
Deutschland, Marburg, Philipps-Universität Marburg, Deutsches Paul-Tillich-Archiv, 008C
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Stuttgart - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Alfred Fritz am 29. Dezember 1907
nächster Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Alfred Fritz an Paul Tillich vom 29. März 1907

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Alfred Fritz an Paul Tillich vom 19. März 1907, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00149.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00149.pdf