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Neviges, den 21. März 1907.

Lieber Paul,

Endlich komme ich dazu, Dir einen kurzen Gruss zu senden u. Dir zu zeigen, dass ich Dich nicht ganz vergessen habe.

Hoffentlich warst Du in den Ferien bisher etwas fleissiger, als ich es sein konnte. Ich habe zuerst mit Witte u. Häfele 2 herrliche Tage im Harz verlebt, dessen tiefe Winterlandschaft (1-4 m hoch Schnee!) einen grossartigen Anblick bot; Du glaubst nicht, wie schnell der Ärger der letzten Wochen u. all der Bundesstunk verflogen war! Eine solche Ausspannung tut doch recht gut!

Ich freue mich wirklich, den Kummer mal für ein paar Wochen los zu sein; nachher geht's dann mit frischen Kräften ans Werk. Wir wollen nur sorgen, dass wir's im eigenen Neste mollig haben,| dann mag draussen der Kampf ruhig weitertoben. Ich glaube nicht, dasswir ernste Gefahr vor einer starken Opposition vorliegt. Ich halte es für einzig richtig, keine langen Bundesverhandlungen mehr zu führen, sondern wenn möglich den Aktivitätszwang aufzuheben und dann für einige Zeit möglichste Ruhe zu wahren. Der platte u. verständnislose Artikel von Phil. Kürstener hat mich sehr geärgert, aber ich glaube, dass er bei der augenblicklichen Lage Recht hat, wenn er Dezentralisation u. grössere Selbstständigkeit der einzelnen Verbindungen verlangt. Die langen Prinzipkämpfe müssen, so nutzbringend sie auch oft dem Einzelnen sein mögen, doch auf die Dauer nach aussen sehr abstossend wirken. Ich glaube, wir haben getan was wir konnten, und es ist jetzt unsre wichtigste Aufgabe, in Halle das begonnen Werk fortzuführen| und den Bau zu befestigen. Dort ist gewiss noch Arbeit genug. Dem Wartburgfest sehe ich mit sehr gemischten Gefühlen entgegen, hoffentlich legst Du Dir in den Ferien etwas Phlegma zu (ich gäbe Dir gern was ab!) und sammeltst Kraft, auch Massloses ertragen zu können! Natürlich fest auf der Sache bestehn, keinen Schritt breit nachgeben, aber nicht unnötig vor den Kopf stossen – das legt man sonst als "Verständnislosigkeit" oder persönliche Gehässigkeit aus. Also ruhig Blut auf der Wartburg! Wir wollen dort keine Wiederholung der Räubersynode! Verzeih mein freches Proleten, es ist nicht so schlimm gemeint.

Mir macht es große Freude, mich etwas auf meine Charge vorzubereiten, wenn ich dabei auch auf manche Schwierigkeiten stosse, die grösste ist wohl die Anleitung zu rechter Verteilung von Studium u. Verbindungsarbeit. Im Archiv für| den xx fehlt doch noch manches z.B. über den heutigen Stand der übrigen Korporationen. Material für die letzte Entwickelung und den jetzigen Stand der Hall. Verbindung können wir ja leicht beibringen. – Vormittags mache ich den schwachen Versuch, meiner bodenlosen Unkenntnis des A.T. etwas zuleibe zu rücken; die Philosophie muss leider ganz schlafen.

Dir wünsche ich, dass Du mit dicken roten Backen und guter Gesundheit ins Semester kommst, u. dann wollen wir auch etwas vernünftiger leben als bisher. Meine Mutter ermahnt mich täglich, warnt vor Nervosität u. andern Schäden in späterer Zeit. Grüße bitte alle deine Hausgenossen herzlich von mir, besonders Deinen lb. Vater.

In tr. Freundschaft Dein
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