Mein lieber Alfred!
"Verzicht auf Recht um der Sittlichkeit willen", so könnte man nach Schmuhls Ethik mein Beginnen, Dir jetzt außer der Reihe
zuschreiben, bezeichnen; aber mit der Sittlichkeit ist das solche Sache; denn als
ich
so manchen anderen in diesen Tagen schrieb und so in „raumlose Bezogenheit“ zu ihnen
trat, da hats "mir halt verrisse", dasselbe
mit Dir zu tun, nachdem es seit so langer Zeit nicht geschehen war; auch der
Rundbrief konnte daran nichts ändern; denn er befand sich u. a. 3 Wochen bei
Spatz, von den Bummeleien der übrigen gar nicht
zu reden. In diesem Jahre werde ich ihn also kaum mehr zu sehen bekommen: Schade:
denn gerade in der schnellen Studentenzeit muß es
schneller gehen, wenn nicht alles veralten will. Zwar habe ich Spatz den Kopf diesbezüglich gewaschen, aber wie lange das verhält,
weiß man nicht; im übrigen war Spatz einer der Durchreisenden
und – wie Fr. Büchsel unser Haus nannnte – im "Hôtel zum Durchreisenden l.Br." einkehrenden Hallenser. Wir redeten sehr ernst und "tiefinnerlich"
längere Zeit über Personen und Sachen und ich war erfreut, wie sehr er zugenommen
hat
"an Alter, Weisheit…" – was an Halle der Punkte folgen würde, erfuhr ich von Hans Balke, der es durchaus für möglich hält, daß er im |
nächsten Semester x wird. So wäre ja Hermanns
Lieblingswunsch erfüllt; ich würde mich auch riesig freuen. – Am selben Tage war
Fr. Büchsel da, der in Soest "einen gut kehrenden neuen Besen" zu Weihnachten bekam
(Konventsgeheimnis) und auch diesbezüglich erzählte; er hat es nicht leicht trotz
der
5 ll. Bb., die er dort mitzuregieren hat; aber die Arbeit macht ihm viel Freude und
es muß auch etwas schönes sein! – In selbiger Woche hatte mich Hans Balke sofort nach der Weihnachtskneipe besucht; war der Gedanke schon rührend, so war
die Ausführung grandios. Am ersten Abend Examenskneipe von Stops, der mit 2-3
bestanden hatte, im Kaiserkeller mit Ernst
Gründler, Th. Jäger, H. Witte.
Starke
Grüber und Hans;
Du wirst mich Schlemmer schimpfen und nicht mit Unrecht. Am nächsten Tage kam
Stosch mit seinem Lbfx durch und aßen bei uns
Mittag; so lernte ich den jüngsten des großen Hamburger Zwar-Aber-Geschlechts kennen
in seinen Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten ihn vergleichend; jedenfalls gefiel
er
mir sehr gut. Die Hauptsache
aber war der x selbst, der die älteren Ausführungen von
Amos ergänzte; Halle steht auf unerreichter Höhe. Der Geist strömt und Heim gibt
neuen und zerstört alle naturhafte Orthodoxie. Nur fehlen etwas die älteren Semester
die mehr gebend sein könnten, wie wir es in der Jugend hatten. |
Daher
finden wohl schwierigere Naturen, wie Heller,
J.
Kilger u. s. w. nicht ganz, was sie wollen; ich
sollte ↓vor↓ Weihnachten hinkommen und habe es mir durch
große Kämpfe verwinden können; das Hindernis war die hiesige Verbindung; sie ist
relativ auf der Höhe, so daß sie fähig ist, sich mit dem
Berliner Problem abzugeben, den Weiberkneipen;
nachdem ein scheußlicher Fall (Krankheit durch Küssen) die Gefährlichkeit wieder
grell gezeigt hat (s. Ts.
Kraut), ist eine energische Reaktion im Werke. Ich
denke, wir werden weitreichende Gegenmaßregeln durchbringen. Mit dem persönlichen
Verkehr ist natürlich nicht viel los; das ist eben einfach unmöglich gemacht durch
die Entfernungen. – Mein Arbeiten ist durch die vielen Betriebe etwas ins Stocken
geraten, zumal ein gewisser Abschnitt erledigt war: Kg. I und Einleitung ins N-T;
minimal, aber doch ein Anfang. Jetzt will ich ans Übersetzen des A. u. N-T. gehen;
das "Wie" ist mir beim N-T noch sehr dunkel; ganz ohne Kommentare geht es doch nicht.
Hast Du welche
benutzt und zu welchen Büchern? – Etwas dazwischen kommt eine Katechese über die
Dämonenheilung Luk 4; ich bin selten so ratlos
gewesen. Wie bringt man Kindern ein Begriff vom Dämonischen bei? Und wenn, wie
verwertet man derartige Geschichten? Am 22 Jan. bin ich dran. Dann aber gehts auf gen
Jeru|
salem zum Kaiserkommers. –
Weißt Du etwas Gewisses über Hermann? man munkelt
viel von Lic u. s. w.?. – Wir hatten ein schönes stilles Weihnachtsfest mit unsern
Großeltern und Du wirst auch ein stilles Fest gehabt haben; aber ich weiß, wie das
erste Weihnachten ist, wo jemand fehlt, der sonst der Spender so mancher Freude war.
– Heute früh erhielt mein Vater die Nachricht von
dem Tode seines Lbfx, des Vaters unserer Vogets.
Die armen Jungen! Ich war tief erschüttert; der eine ist F-J. in Halle und die
anderen beiden sind wohl noch ziemlich jung; es ist furchtbar schwer so ein
Weihnachten und Neujahr. – Wie hat Lorenz die Tage
überstanden? Wo war er? Tritt ihn doch mal, mir zu schreiben! – Und nun wünsche ich
Dir ein neues Jahr, dessen Hauptinhalt, der Sieg im Kampf mit der Prüfungskommission,
die recht vollständig gelingen möge! – Und mein erster Wunsch fürs
neue Jahr ist ein Brief von Dir auf dem ersten Morgenkaffee des Jahres.