Der editierte Text

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Lieber a!

Endlich soweit! Nämlich im Stande, Dir auf Karte und Brief zu antworten. Daß ich bisher nicht war, wird Dir b bezeugen können. Aber um den Rechtsgrundsatz: audiatur et altera pars nicht zu verletzen, will ich Dir doch auch meinerseits einiges aus dem fortgesetzten Lebenswandel der drei ersten Ferienwochen berichten. Also zunächst war c da. Soweit ich mich an die Tage, die ich in einem Zustande totaler Betäubung infolge der letzten Anstrengungen des Semesters verlebte, bes erinnern kann, waren sie sehr nett; zwar war das Interesse mehr am Objekt (d), als wechselseitig am Subjekt, aber trotzdem kann das ja auch "verbindend" wirken. Sehr viel wacher war ich schon in den Tagen mit e, wenigstens relativ. Es war ganz famos, vor allem als Gelegenheit, das im Semester Versäumte etwas nachzuholen. Das taten wir dann auch gründlich, ohne f |:zu kurz:| nachkommen zu lassen. Die Glanzpunkte waren (da ich die 11/2 Stunden im Regen vor dem Schloß mit| dem Erfolg, einige hübsche Botschafter-{¿¿¿}-Uniformen zu sehen, nicht, wie g, dafür nehmen kann) der Abend in "Rheingold" und "Karmen" im Opernhaus. (Ersteres nicht die Oper, sondern das größte und neueste Weinrestaurant h, eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges) Von unserem dortigen Schlemmereien zu erzählen, überlasse ich i. Leider war der Schluß etwas verzipft, insofern oben besagte Regenkur uns beiden eine tüchtige Erkältung zuzog. Ich bin noch immer Patient, insofern mir die Erkältung noch im Kopfe sitzt, so daß jede vernünftige Geistestätigkeit bis vor kurzem ausgeschlossen war. Ob dieser Brief schon unter jene Kategorie fallen kann, ist Mir |:mir:| zweifelhaft, doch überlasse ich Dir das Urteil darüber. Das Schlimmste aber ist, daß das Ohr dabei in beständiger Gefahr schwebt, und dies augenblicklich durch ein intensives Sausen bestätigt.1 Da aber die übrigen Merkmale noch fehlen, so hoffe ich, daß die Sache so vorübergehen wird. Ebenfalls versuchte ich mich schon hin- und wieder, an den Gedanken zu gewöhnen, einen neuen x2 fürs nächste Semester aufzustellen. Morgen will ich den Arzt befragen und werde Dir sofort schreiben,| falls es etwas Schlimmeres ist. Meine augenblickliche Tätigkeit besteht dementsprechend nur in Schlafen und Essen. Irgend etwas arbeiten kann ich d. nicht. Was aus der "Dogmatik" wird, ist mir unklar. Doch kann ich ja schließlich noch im Laufe des Semesters dran gehen. Die Bonner Prolesen haben mich sehr kalt gelassen. Dr. j schreibt mir sehr geheimnisvoll, daß es die Antwort k für unser Eintreten für l sei!3 Mein n beruft nächstens einen Konvent der Berliner Philister. Sie wollen eine Resolution im Sinne "o" 4 (natürlich mit Aufhebung des Aktivitätszwanges) in den Wingolfsblättern veröffentlichen. Doch genug von "Geschäften".
Für die Zusendung des Nachrufes für Deinen q herzlichen Dank. Welche Fülle von Trost muß in der Liebe und Verehrung liegen, die so viele für ihn hatten. Man lernt ihn so recht daraus kennen und muß ihn lieb gewinnen, auch wenn man ihn persönlich nicht gesehen hat! Bitte schreibe mir die Adresse von r oder sage s, er solle es tun.

Herzlichsten Gruß
Dein treuer t.

u läßt Dich herzlich grüßen.


Fußnoten, Anmerkungen

1Paul Tillich hatte während des Sommersemesters 1905 in Tübingen wiederholt eine Ohrenerkrankung.
2Als X bezeichnet man einen Erstchargierten oder Fux. Der X fungiert als Sprecher der Verbindung.
3Vgl. m.
4Vgl. p: "Resolution Tillich. Die im Bunde vereinigten Verbindungen sprechen die Hoffnung aus, daß der gegenwärtig festgestellte Zwiespalt in der Prinzipauffassung und die Lockerung der Bundesverfassung, soweit sie durch ihn erfordert wurde, nur ein vorübergehender Zustand ist."

Register

aFritz, Alfred
bKilger, Albert
cSchreiber, Hans
dBerlin
eKilger, Albert
fBerlin
gKilger, Albert
hBerlin
iKilger, Albert
jHeine, ???
kKunsemüller, ???
lKalfhaus, ???
mBrief von Gottfried von Hanffstengel an Paul Tillich vom 22. März 1907
nTillich, Johannes Oskar
oHalle (Saale)
pAnonym, Ratifizierungen der Beschlüsse des Chargierten-Konventes, 24. März
qFritz, Gottlieb
rSchuster, Daniel
sKilger, Albert
tTillich, Paul
uFritz, Johanna

Überlieferung

Signatur
Deutschland, Marburg, Philipps-Universität Marburg, Deutsches Paul-Tillich-Archiv, 008C
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
unbekannt - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Alfred Fritz von 1907 (Herbst)
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Alfred Fritz am 29. Dezember 1907

Entitäten

Personen

Orte

Literatur

Briefe

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Alfred Fritz von 1907 (Frühling), in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00136.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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