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Lieber Alfred!

Endlich soweit! Nämlich im Stande, Dir auf Karte und Brief zu antworten. Daß ich bisher nicht war, wird Dir Albert bezeugen können. Aber um den Rechtsgrundsatz: audiatur et altera pars nicht zu verletzen, will ich Dir doch auch meinerseits einiges aus dem fortgesetzten Lebenswandel der drei ersten Ferienwochen berichten. Also zunächst war Schreiber da. Soweit ich mich an die Tage, die ich in einem Zustande totaler Betäubung infolge der letzten Anstrengungen des Semesters verlebte,bes erinnern kann, waren sie sehr nett; zwar war das Interesse mehr am Objekt (Berlin), als wechselseitig am Subjekt, aber trotzdem kann das ja auch "verbindend" wirken. Sehr viel wacher war ich schon in den Tagen mit Albert, wenigstens relativ. Es war ganz famos, vor allem als Gelegenheit, das im Semester Versäumte etwas nachzuholen. Das taten wir dann auch gründlich, ohne Berlin zu kurznachkommen zu lassen. Die Glanzpunkte waren (da ich die 11/2 Stunden im Regen vor dem Schloß| dem Erfolg, einige hübsche Botschafter-¿¿¿-Uniformen zu sehen, nicht, wie Albert, dafür nehmen kann) der Abend in "Rheingold" und "Karmen" im Opernhaus. (Ersteres nicht die Oper, sondern das größte und neueste Weinrestaurant Berlins, eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges) Von unserem dortigen Schlemmereien zu erzählen, überlasse ich Albert. Leider war der Schluß etwas verzipft, insofern oben besagte Regenkur uns beiden eine tüchtige Erkältung zuzog. Ich bin noch immer Patient, insofern mir die Erkältung noch im Kopfe sitzt, so daß jede vernünftige Geistestätigkeit bis vor kurzem ausgeschlossen war. Ob dieser Brief schon unter jene Kategorie fallen kann, istMir mir zweifelhaft, doch überlasse ich Dir das Urteil darüber. Das Schlimmste aber ist, daß das Ohr dabei in beständiger Gefahr schwebt, und dies augenblicklich durch ein intensives Sausen bestätigt. Da aber die übrigen Merkmale noch fehlen, so hoffe ich, daß die Sache so vorübergehen wird. Ebenfalls versuchte ich mich schon hin- und wieder, an den Gedanken zu gewöhnen, einen neuen x fürs nächste Semester aufzustellen. Morgen will ich den Arzt befragen und werde Dir sofort schreiben,| falls es etwas Schlimmeres ist. Meine augenblickliche Tätigkeit besteht dementsprechend nur in Schlafen und Essen. Irgend etwas arbeiten kann ich d. nicht. Was aus der "Dogmatik" wird, ist mir unklar. Doch kann ich ja schließlich noch im Laufe des Semesters dran gehen. Die Bonner Prolesen haben mich sehr kalt gelassen. Dr. H. schreibt mir sehr geheimnisvoll, daß es die Antwort Kunsemüllers für unser Eintreten für Kalfhaus sei! Mein Vater beruft nächstens einen Konvent der Berliner Philister. Sie wollen eine Resolution im Sinne "Halle" 1] (natürlich mit Aufhebung des Aktivitätszwanges) in den Wingolfsblättern veröffentlichen. Doch genug von "Geschäften".
Für die Zusendung des Nachrufes für Deinen Vater herzlichen Dank. Welche Fülle von Trost muß in der Liebe und Verehrung liegen, die so viele für ihn hatten. Man lernt ihn so recht daraus kennen und muß ihn lieb gewinnen, auch wenn man ihn persönlich nicht gesehen hat! Bitte schreibe mir die Adresse von Daniel oder sage Albert, er solle es tun.

Herzlichsten Gruß
Dein treuer Paul.

Johanna läßt Dich herzlich grüßen

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    • Anonym, Ratifizierungen der Beschlüsse des Chargierten-Konventes, in: Wingolfs-Blätter, Nr. 12, 24. März 1906, S. 8.