Lieber Alfred!
So schwer mir sonst das Briefeschreiben wird, so sehr habe ich mich darauf gefreut
heute einmal 2 Stunden Zeit dazu zu haben, allerdings keine Minute mehr! Wieweit ich
zurückgreifen müßte, um den Faden der Korrespondenz in lückenlosen Parallelismus zum
Faden der Ereignisse zu bringen, was ja wohl das Ideal ist, das kann ich nicht mehr
sagen. Im Voraus möchte ich bemerken, daß der "Persönlichkeitsgehalt", den ein Brief
ja mitteilen soll, rein sachlich orientiert ist. Und diese Bemerkung, die man auf
Deutsch eine Moralische nennt, ist zugleich sein Hauptinhalt. Die vollkommene
Unfähigkeit, neben den sachlichen Beziehungen, Personen, etc. Geist zur Füllung des
sich allmählich entwickelnden inneren Hohlraums zu bekommen, knickt mich
einigermaßen. |
Natürlich meine ich keinen Moralischen im allgemeinen
Sinne, sondern nur die Leere, die die einseitige Gedanken-Gefühls- und
Willenskoncentration auf die Verbindung und ihre sachlichen Beziehungen, notwendig
produciert. Ich denke mir, daß ich gerade darin zuviel habe, worin Ihr Mangel leidet
und umgekehrt. Aber trotzdem kann man wohl auch auf diesen Zustand den
Pflichtgedanken anwenden,
ganz abgesehen von dem vielen, was man natürlich davon hat. Der Zwang, geben zu
müssen ist schön, solange er verbunden ist mit dem Bewußtsein der Fähigkeit und er
ist drückend, sobald er auf Mangel an Besitz stößt. Und in dieser Zwitterstellung
befinde ich mich augenblicklich. Viel Freude machen mir z. B. die Pauken, Konvente,
selbst die Statutenrevision, u. s. w. Daß sie aber in so großer Fülle kommen, daß
Zeit und Kraft dadurch fast
ganz in Anspruch genommen ist, das ist das Traurige dabei. Darum wird mir der
persönliche Verkehr bei Kaffon etc. nicht ganz leicht. Soll und Haben! - Entschuldige
diese Auseinandersetzung, |
aber sie war mir mal ganz lieb. Was sagst Du
dazu? –
Doch nun der Beweis, d.h. die Tatsachen! Was die Wartburg betrifft, so
bin ich natürlich durchaus pessimistisch. Nichts haben sie kapiert.
Kein Mensch weiß warum der Aktivitätszwang aufgehoben ist, kein
Mensch weiß, was wir wollen, alles pennt weiter, nur noch ungehinderter! Das
Wingolfsideal, soweit es nicht Phrase ist, kennt man selbst in Halle kaum mehr. (Ich meine in Beziehung auf den Bund.) Darum war es
mir lieb, als die Heidelberger Unverschämtheit Gelegenheit zum Necken und – unter
dem
Siegel der tiefsten Verschwiegenheit – eventuell noch zum Krachen gab. Heute kam ein
Brief v. Hdg, worin es sich wundert, daß Halle nicht schon längst die "Konsequenz"
gezogen hätte. In Bezug auf mein θυμός bin ich
durchaus damit einverstanden. Das noch schwankende πνεῦμα wird sich bei der ersten, wirklich passenden Gelegen|
heit auch dafür entscheiden! – Was unsre Konvente betrifft, so wirst Du schon
darüber Berichte gehört haben. Ich stehe ja da auf dem Standpunkt, daß der Konvent
auch ein Ort zur Aussprache ist, und zwar der geeignetste. Infolge dessen haben wir
nach der Wartburg im Anschluß an die Pauke von Ph.
Bertheau sämtliche praktischen
Verbindungsorthodoxismen durchgesprochen und bei dieser Gelegenheit verschiedene
Augiasställe gründlich gereinigt. Die Luft, auch "der Wind von
Gryps" ist jetzt einigermaßen rein. Und Du schreibst ja selber,
daß Halle jetzt bleiben muß! – Das geistige Leben
wuchert jetzt üppig empor in
den verschiedenartigsten G.-C.s und begabten Kaffons etc. – Gestern war
Trauerkneipe für Scheurich, sehr feierlich und
würdig, aber für mich innerlich sehr anstrengend. Sonntag war ich nach
Frankfurt gefahren. Um 10 früh Montag war die
Beerdigung, wo ich auch eine|
kurze Pauke hatte und dann Band und Kouleur
nachwarf. Es ist zu traurig! Es ist ziemlich sicher, daß schon in seinem
Fuxmajorsemester die Wurzeln der Krankheit liegen. Sicher waren wir oft nicht ganz
gerecht gegen ihn! – Heute habe ich ↓wieder↓
Vertretersitzung der 4 Gruppen auf meiner Bude betreffend Fackelzugs. Bis jetzt sehr
zahme Leute. Lose Buben und Katholiken hauen sich und wir spielen den tertius
gaudens. – Sicher sehen wir uns also wieder in Straßburg; und ich hoffe, daß Du aus Dank zum Stiftungsfest kommen
wirst. Diesmal gibts keine Ausrede! Und wenn Du deine zu haben
glaubst, so schreibe sie zur Widerlegung, aber sofort!! Was als solche nicht gilt, weißt Du ja! – Daß ich Dienstag in Hersfeld|
war, hat Dir wohl Hermann
schon geschrieben.1] Es war eine Erquickung für Leib und Seele! _
Mein Leibfux ist
ein famoser Kerl, aber nicht gerade einfach; er hat sehr viel mit sich zu tun, ist
leidenschaftlich und äußerst empfindsam, ohne davon viel zu sagen, so daß die
plötzlichen, oft unerwarteten Ausbrüche schwer zu behandeln und zu verstehen sind.
Leider kann ich nicht so oft mit ihm zusammen sein, wie ich es gern täte. Vor allem
aber lieben wir uns gegenseitig sehr! –
Mit meiner
Frau stehe ich sehr gut, nur verbietet sie mir zu
viel. Famos ist das Verhältnis der drei Verehrlichen, namentlich mit dem Fuxmajor
wird alles vorher besprochen. Spatz, den ich immer
lieber gewinne (intensiver Verkehr), läßt Euch beide herzlichst
grüßen! –|
Sage bitte Daniel, ob er
etwas von den alten Büchern im A-H-C-Zimmer mit den alten Silhouetten (Orthogr.
schwach!) weiß! Er hat sie gehabt, jetzt sind sie verschwunden! – An
Albert speciell: Er soll sich endlich entscheiden
und die moralische Tat tun, mir mitzuteilen, daß er im nächsten Semester nach Berlin
kommt. Johannes ist ganz mit einverstanden! Ich
gehe noch mal so erleichtert aus dem Semester, wenn ich es genau weiß! Bitte recht
schnell und wäre es auch nur eine Postkarte mit dem Wörtchen "ja"!!
Im übrigen ist der Brief an Euch beide gerichtet und gemeinsam zu lesen! Ob ich vor
dem Stiftungsfest
noch zu einem komme, weiß ich nicht!