heute Morgen ist er nach Süden weitergedampft, der tertius – und wir zwei beide sind nun in gleicher Situation. Das Gefühl der Leere, nachdem es gerade wieder so schön war – erfüllt uns und man schwingt sich höchstens zu tragikkomischen Reflexionen über die Idealität des Kommens auf. – Ungesunde Passivität – nur ¿¿¿ – will uns doch nicht hinnehmen und deshalb schreibe ich Dir und versuche Deine Hand| zu haschen um die Stimmung nicht nutzlos zu verbrauchen, sondern mit Dir sie zuzubringen u. zu verschwätzen – zumal ich einiges auf dem Herzen habe.
Sein Hiersein – war für mich eine große Freude. Das
Wetter infam. – Donnerstag Abend gingen wir noch zum Garten auf dem Berge und hockten
auf einer Bank. 200 Meter weiter hinter Erbsenbeeten unsichtbar auch eine andre
unserer Abschiedfeiernden Schwestern! Abends haben wir im roten Zimmer bei 3 Lampions
Abschied von Deinem Schwesterlein gefeiert.
Derweilen hast Du sie schon in Augenschein genommen u. sie hat Dir|
wohl
auch manches aus diesem barbarischen Land erzählt. Wir können uns, sonderlich meine
Schwester noch gar nicht recht an den Gedanken gewöhnen, daß sie
nicht mehr da sein soll;– sie kann sich merkwürdigerweise garnicht vorstellen, daß
sie dagewesen ist.. Na, sie wird zu Ostern eventuell wieder kommen um bei mir Kochen
zu lernen. Vielleicht verstehen wir beide uns dann auch besser. Denn ich glaube –
vielleicht hat sie sich Dir gegenüber darüber geäußert, daß ich ihr ein wenig
unheimlich bin. Das hat seinen Grund in einer gewissen Unsicherheit in der Stellung.
Mit meinen Brüdern war es ein natürliches Kennen Lernen – wie mit meinen|
Eltern – Bei mir war das Bekanntsein hinderlich – insofern man sich unwillkürlich
näher stehend fühlte und doch in den Formen verkehrte, (gnädiges Fräulein, Herr
Kandidat) die Fremderen entsprechen.– So erstaunte man bei der kühlen Form u.
unwillkürlich wurde der Verkehr inhaltlich fremder–; das war ein gewisses Hemmnis
der
Ungezwungenheit. Eine andere Schwierigkeiten lag darin daß ich beständig hin u. her
reiste u. selbst innerlich unter Zerfahrenheit schwer zu tragen hatte – durch das
beständige hin u. her. So müßte mein Verkehr auch ruckweise unruhig pp sein. Doch
–
das interessiert dich ja|
garnicht an sich – nur falls Deine Schwester das,
wie ich annehme – empfunden hat u. vielleicht ausgesprochen – wollte ich Dir das
erklären – Freitag früh haben Frede und ich in
aller Gemütsruhe erzählenderweise zugebracht, – auch den Brief an Dich geschrieben u.
s. w. dann zur Bahn. Der Abschied litt unter meiner Beschaffenheit. Ich mußte heim.
Der Arzt hat auch glücklich einen beginnenden Leistenbruch konstatiert! Nächste Woche
muß ich nach Cettel, um mir ein Bruchband
anmessen zu lassen. Die (früh vorübergegangenen) Schmerzen haben uns gestern erst
ein
wenig gestört. Dann haben wir noch zusammen "Die
Furcht vor dem Denken" gelesen|
ein famoses Büchlein.–
Nachher langte es neben dem Plaudern noch zu einigen Kapiteln von den
¿¿¿. Sie sind z. T. scheinbar wirklich fein. Ich lese sie mit
Freude. Abends nach Tisch sind wir oben gewesen. Unter meinen Schwestern, Frede u. ich. Dämmerstunde – ein Lampion. Dazu Musik.
Nachher Frede u. ich solo im Zimmer – geplaudert
bis 11. Der arme liebe Kerl! Wie leid tut er mir immer wieder! Wie leid auch, daß
er
so zusehen müßte, wie meine Schwestern meinen Vater herzten! Das ist doch sicher ihm
schwer gewesen.– Am Morgen 7 46 habe ich dann mal wieder das
Nachsehen|
gehabt – Wann sehen wir uns wieder. – Du hast diese Freude
schon bald. Ich gönn' sie Dir ohne Neid; denn Du mußt in alle der
furchtbaren Unruhe, die Dir dies Semester in zu großem Maße bringt kräftige Impulse
zur Ruhe haben. Sonst kannst Du es nicht ertragen u. wirst innerlich unfroh.
Frede sagte mir, Du hättest geklagt – (Du
brauchst ihn nicht darum zu schelten!) – worüber? darüber? – fehlt dir irgend etwas?
Du bist uns gegenüber zu verschlossen mein lieber Junge!– Ich glaube, Du fürchtest
Dich in mancher Beziehung vor mir. Ich bin dir zu grob, scharf oder so? Aber das tu'
doch ja nicht! Du weißt wie gerne ich mit helfe – u. es heißt doch|
Eine
Sorge des andern Last u. Meine Spezialkneipe habe ich Dir nie
vorenthalten wenigsten indirekt immer mitgeteilt Du verstehst mich – ja – daß mir
nachts an den "Sachen" liegt, daß ich nur gerne mitschleppe, was
man so unterwegs aufgehockt bekommt. Also– nimm' Dich vor mir nicht zu sehr in Acht!
Sonst weiß ich schließlich garnicht recht, wie ich Dich behandeln soll. Dies war eine
Randglosse.
Du bist vielleicht garnicht zum Lesen solcher Epistel aufgelegt – das Predigt
arbeiten u. lernen nimmt Dich ja ganzs in Anspruch - aber ich
mußte Dir mal schreiben. Hoffentlich findest du Zeit u. Ruhe mal zu antworten.
Eigentlich müßte|
ich Dir auftragen. Dienstag von 8-10 setztest Du Dich hin
u. beruhigst Deine Gedanken, Nerven etc. durch einen Brief an mich! Wenn ich nur
wüßte, ob ein Brief an mich Dir eine Beruhigung wäre!! Was mir das Leben schwer macht
– ist nicht der Gedanke an Leib u. äußere Dinge. Es hat mir ein Anonymus in meinem
Liederbuch angestrichen: "Du bist's für den wird werden, wenn kurz gewandert du,
dies Holz im Schoß der Erden ein Schrein zur langen Ruh" – Ich weiß nicht, wer der
Hallenser ist– anonym wirkt er unheimlicher als offen aber das ist nicht für
gewöhnlich mein Druck.. Obwohl ich bangen muß, daß ich noch bitten muß, dies Jahr
noch gelassen zu werden, damit gewartet wird, ob ich noch Frucht bringe – und ich
Freudigkeit, wirklich inneres Erleben mir schwer erringen muß resp. noch fündig
daraus unterbewußt sträube es mir schenken zu lassen. Nunmehr ist
meine Hauptfrage neben dieser centra|
len, die wir alle in etwas haben
werden – die Frage ob es recht ist, daß ich noch wissenschaftlich groß tue – arbeite,
philosophiere u. s. w. oder ob ich nicht mich mit "dem Wort" und der Welt, wie sie
ist u. ich sie kenne, begnüge – praktisch- politisch-sozial pp. meinen Horizont ausbaue.
Es kommt nichts dabei heraus,: fast scheine ich wie der Mann, der ein Haus
bauen will, ohne die Kosten zu überschlagen und zu der Gebrochenheit des Willens der
¿¿¿ gesellte das Studium die des Intellektes – Man lächelt zu
beiden u. doch ist's verzweifelt schwierig, weil ein Arbeiten mit dem Gedanken das
zu
hoch – wieHeugelei
Heuchelei scheinen muß. – Das sind so Sorgen. Heute habe ich für
meinen Vater 300 mal geschrieben: "Nichts zu erinnern." – Das ist tröstlich
langweilig!.. Entschuldige diesen Brief. Ich wollte Dir nur sagen daß ich eben so
gerne helfe als Hülfe habe u. daß wir unsren Weg gemeinsam gehen wollen. Mein Wunsch
für Dich und mich ist – daß wir ein – immer fröhlich Herz u. edlen Frieden geschenkt
bekommen mögen und wie es in der Strophe1] weiter heißt!