Der editierte Text

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H. d. V. IV. 06.

Lieber Paul (Details anzeigen)!

Natürlich keinen faulen Frieden! Aber die Schwierigkeit ist eben die, daß die Differenz nach dem These II1 angenommen ist, eigentlich in Nominalismus u. geschichtslosem Subjektivismus der Marburger2 liegt u. die Trennung von einer Menge im Bunde partout nicht begriffen werden wird. Ratifiziert ist alles!!!, außer dem einen Teilantrag |:Kuhlogik!:|: der Aktivitätszwang bleibt. – Was läßt sich machen? Die Leute schnappen sämtlich über, wenn wir noch mal prinzipielle Debatte anfangen. – Marburg u. Göttingen (Details anzeigen) kneifen sobald man sie nagelt... Hinterher ist dann ihr Standpunkt genau derselbe. – | Ob wir nun die Schwierigkeit lösen durch nunmehrige Aufhebung des Aktivitätszwanges3, oder durch Austritt? Durch Herauswerfen Marburgs? Alles 3 ist m. E. entweder ohne Zweck oder unmöglich. Daher ist der Weg: Aufnahme der Wartburgresolution4 in die Statuten ebenso der These I u. II5 nebst Antrag Büchsel (Details anzeigen)6 nun Ziel, für das sich zunächst die Möglichkeit des Gelingens bietet. Natürlich unter der deutlichen Konstatierung, daß Göttingen (Details anzeigen) u. Marburg sich von Bartels (Details anzeigen) u. der Tradition lossagen – respektive einsehen, daß sie einseitig gewesen sind. – das hoffe ich, wird eine größere Leichtigkeit sein als ein Herauswerfen u. wir bleiben mächtiger als durch Austritt. Dann laß' sie meinetwegen auch wieder kneifen. Auf den nächsten Wartburgfesten sind wir dabei u. können den Finger occatione data fester darauflegen.

Also wohlverstanden, nur in dem Sinn will ich Frieden halten. Das habe ich auch m. E. an Witte (Details anzeigen) geschrieben.| – hier lege ich Dir noch einen eben während des IIten Frühstücks (2 Eier, 5/10 Milch) produzierten Brief bei. Mich juckt es nämlich, daß das vulgus denkt, wir wären rechtlich verstummt. Wenn Dein Vater (Details anzeigen) ihn nicht zu unverschämt findet u. Du seine sachliche Richtigkeit (habe nämlich den Schrieb nicht da) nicht beanstandest, schick ihn {¿¿¿ ... ¿¿¿} pp ... zu. Sonst bitte = Ofenwärts. Das würde mich nicht im geringsten schmerzen. – Schreibe mir dann noch mal in principiis. Smul (Details anzeigen) hatte mir eigentlich verboten überhaupt daran zu denken; aber .... na!.. Im übrigen ist die Schrift v. Jäger (Details anzeigen) u. Witte (Details anzeigen) ganz ohne mein Zutun entstanden. Ich trage an meiner genug! Aber ich müsste die andere von denen haben!| Man sieht mal wieder, wie Dogmen die Menschen blind machen ... Im übrigen sitzest Du, was Scheußlichkeit der Klaue betrifft in einem Glashause.... So nun definitiv „nur aus der Luft“!

Ich vergrabe mich auch in Weiß (Details anzeigen), Hermann (Details anzeigen) obwohl ich eigentlich konstant in Reitstiefeln umherstolziere u. sämtliche Gebirge in Unordnung bringe indem ich vom einem z. andern so viel Dreck an meinen Stiefeln mitbringe u. die Höhenlage verschiebe, jedenfalls wird eine neue Verkoppelung |:Weißt Du was das is?:| nötig sein. Nun lebwohl Du Kücken! Laß Dir Ostern nicht d. den Bund stören; – oder mir doch noch eine Karte!!

Tr. Gruß d. H (Details anzeigen).

Natürlich der ganzen Familie.


Fußnoten, Anmerkungen

1Der am 22. und 23. Februar 1906 in Halle (Details anzeigen) außerordentlich durchgeführte Chargierten-Konvent hatte sich mit dem sog. Prinzipienstreit zu befassen. Im Prinzipienstreit ging es um das nähere Verständnis des Christentums, das dem Wingolfsbund als religiöser (aber nicht konfessioneller) Verbindung zu Grunde lag und in dem Prinzip jeder Mitgliedsverbindung zum Ausdruck zu kommen hatte. Der Bund nahm sowohl Katholiken wie Protestanten, religiös Liberale wie Konservative auf. Themen des Streits waren die christologische Ausdeutung des Christentumsbezugs, Verbindlichkeit des Prinzips für die einzelnen Verbindungsmitglieder, verbindliche Kriterien für den Verbleib einzelner Mitgliedsverbindungen im Bund sowie die Verträglichkeit religiöser Lebensführung mit den Traditionen des deutschen Studententums, zu denen sich der Wingolf ebenfalls bekannte.

Vor dem Hintergrund der Komplexität des Streites schlug der Vorsitzende, der Erstchargierte des geschäftsführenden Straßburger (Details anzeigen) Wingolfs Heinrich Birmele (Details anzeigen), zu Beginn des Konvents drei Thesen vor, um eine Einigung in Bezug auf „die innere Grundlage des Wingolfs“ zu erzielen. Die erste These, wonach der „Wingolf [...] seine Mitglieder zu christlichen Persönlichkeiten erziehen“ wolle, wurde durch Akklamation angenommen. (Siehe: Heinrich Birmele: Protokoll des Chargiertenkonvents zu Halle (Details anzeigen) zu Halle a.S. am 22. und 23. Februar 1906, in: ebd., S. 2-8, 2.) Die zweite These, die festlegen sollte, in welchem Verhältnis die christliche Lebensführung zur Verbindungsgemeinschaft steht, lautet: „II: daraus folgt: Religion ist im Wingolf nicht Privatsache, sondern dieser muß sie als christliche Gemeinschaft pflegen.“ (Ebd. (Details anzeigen)) Diese These wurde kontrovers diskutiert. Während die eine Partei (Marburg (Details anzeigen), Göttingen (Details anzeigen) u.a.) den religiösen Austausch der Verbindungsmitglieder ihnen selbst überlassen wollte, bestand die andere Partei (Berlin (Details anzeigen), Halle (Details anzeigen) u.a.) darauf, dass die Religion als der „die Gemeinschaft gründende und regulierende Faktor“ (Ebd. (Details anzeigen), S. 3.) festzulegen sei. Die These wurde in der folgenden vom Berliner (Details anzeigen) Erstchargierten Hermann Diehl vorgeschlagenen Version angenommen: „Er [der Wingolf] sucht dies [die Erziehung zu christlichen Persönlichkeiten] zu erreichen in der Überzeugung: Das Christentum ist im Wingolf Sache des einzelnen und Wirkung von Person zu Person und das die Gemeinschaft begründende und regulierende Prinzip“. (Siehe: Heinrich Birmele: Ratifizierungen der Beschlüsse des Chargierten-Konventes (Details anzeigen), in: Wingolfs-Blätter 35 (1905/06), Heft 12b, S. 8.)
2Die Vertreter des Marburger Wingolfs hatten sich auf dem Hallenser Chargiertenkonvent dafür ausgesprochen, den religiösen Austausch zwischen den Verbindungsmitgliedern als Angelegenheit der einzelnen Verbindungsmitglieder und nicht als verbindlich für die Verbindung aufzufassen. Der Vorwurf der Geschichtslosigkeit bezieht sich auf den Bruch mit dem überlieferten biblischen Christentum, den die Marburger Position aus Sicht der Hallenser u.a. darstellte.
3Der Aktivitätszwang, wie er in den § 14 und 15 der Bundes-Statuten des Wingolfsbundes festgelegt war, sah vor, dass ein Mitglied einer Wingolfsverbindung, wenn es eine andere Universität bezog, an dem Leben der Wingolfsverbindung im neuen Ort - soweit vorhanden - teilnehmen musste.
4Auf Aufforderung des in Eisenach sitzenden Verbandes deutscher Hochschulen, im „Kampf für die akademische Freiheit“ zu den konfessionellen, v.a. den ultramontanen Verbindungen Stellung zu nehmen, hatte der Generalkonvent des Wingolfsbundes auf dem Wartburgfest 1905 eine Erklärung angenommen, in welcher der Wingolf einerseits seine religiöse Bestimmung als „nicht im Dienste einer bestimmten kirchlichen Richtung, Konfession oder Kirche“ stehende „Studentenverbindung, die auf den Glauben an Christum ihre religiöse Weltanschauung und sittliche Lebensführung gründet“, feststellte; und sich andererseits für die „Lehr- und Lernfreiheit, die studentische Versammlungs- und Verfassungsfreiheit“ aussprach. (Siehe: Ernst Kunsemüller: Protokoll des Generalkonvents Des 27. Wartburgfestes am 15. Juli 1905 im Festsaal des Fürstenhofes zu Eisenachs (Details anzeigen), in: Wingolfs-Blätter 34 (1904/05), Heft 21, S. 187 f.)
5Siehe die Anmerkung oben
6Der Greifswalder (Details anzeigen) Erstchargierte Karl Büchsel (Details anzeigen) stellte auf dem Chargiertenkonvent in Halle (Details anzeigen) nach Annahme der zweiten These folgenden Antrag: „Eine Verbindung, die diese [zweite] These nicht ratifiziert, scheidet damit aus dem Bunde aus. “ Der Antrag wurde einstimmig angenommen. (S. Heinrich Birmele: Protokoll des Chargiertenkonvents (Details anzeigen) zu Halle a.S. am 22. und 23. Februar 1906, in: Wingolfs-Blätter 35 (1905/06), Heft 12b, S. 3.)

Register

aTillich, Paul
bHalle (Saale)
cStraßburg
dBirmele, Heinrich
gMarburg
hGöttingen
iBerlin
jHalle (Saale)
lBerlin
nGöttingen
pBüchsel, Johannes Karl
qGreifswald
rBüchsel, Johannes Karl
sHalle (Saale)
uGöttingen
vBartels, Johann Heinrich Christian Adolf
wWitte, Hermann
xTillich, Johannes Oskar
yLütgert, Wilhelm
zJäger, Th.
aaWitte, Hermann
abWeiß, Johannes
acHerrmann, Wilhelm
adSchafft, Hermann

Überlieferung

Signatur
Deutschland, Marburg, Philipps-Universität Marburg, Deutsches Paul-Tillich-Archiv, 008 G
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
unbekannt - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Hermann Schafft an Paul Tillich vom 29. März 1906
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Hermann Schafft an Paul Tillich vom 19. August 1906

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Hermann Schafft an Paul Tillich vom 5. April 1906, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00103.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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