Brief von Johannes Tillich an Paul Tillich vom 16. November 1905

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Der editierte Text

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a d. 16./11.05
Mein lieber b,

Endlich komme ich dazu einen Brief an Dich zwar nicht selbst zu schreiben aber doch zu diktieren. Es ist schön, daß Du so ausführlich berichtet hast und die Nachrichten fortgesetzt gut lauten. Auch freue ich mich sehr über Deinen Studieneifer, habe aber dabei doch die Besorgnis, daß Du Dich zu sehr anstrengst.1 26 Stunden Kolleg ist zu viel für Dich; da mußt Du um Deiner Gesundheit willen häufig schwänzen, z. B. Kirchengeschichte oder Psalmen, und solch eine Stunde zum spazieren gehen benutzen. Es ist ja Deine Art leicht in einer Sache zu viel zu tun; deshalb lege ich Dir die Pflicht der Schonung bes. aufs Herz, auch wenn Du die | Notwendigkeit nicht ganz einsehen solltest. Dazu noch ein anderes: die Ernährungsfrage. Du darfst nicht erst warten, bis eine Futterkiste von hier kommt, um Dich ordentlich und solide satt zu essen. Du mußt Dir selbst auch gute Sachen kaufen: Wurst Schinken, Eier, kaufe immer vom besten, denn das ist auch das billigste, und jedenfalls geize und spare nicht. Schreib uns im nächsten Brief, wie Du es in diesen Dingen hältst. – Ueber Deine Beziehungen zu j freue ich mich sehr. Ueber die Frage betreffend Willensfreiheit, die Du mir gestellt hast, antworte ich: allerdings hat die sittliche Freiheit dann ihre Höhe und Reife erreicht, wenn | Pflicht und Neigung zusammenfällt; aber zu dieser Stufe geht es nur durch Kämpfen und Ringen, wobei Willensentscheidungen immer wieder nötig werden. Dies hat k auch gewiß nicht leugnen wollen.

Das Thema Deiner Seminararbeit2 ist uns ziemlich unklar, Du kannst einmal näheres darüber schreiben, wenn Du dazu Zeit hast; sonst lassen wir [es] bis Weihnachten. Ein Besuch meinerseits dort scheint vorläufig ausgeschlossen. Ich hatte viel zu tun mit dem Diktieren meiner Predigt und meines Referats für die Drucklegung. Wir sind eben erst damit fertig geworden. Auch die Gruppe der "Linken" läßt die Verhandlungen als Broschüre erscheinen, und hat mir zu diesem Zweck das Stenogramm meiner Rede zur Durchsicht zugeschickt. | So geht die Sache in große Kreise, hoffentlich zum Segen. Sobald die Verhandlungen erschienen sind schicke ich Dir ein Exemplar.

Mit Prof. m u. Lic. {Frankh} wird das Broschüren-Unternehmen der "St.udenten V.erbindung" weiter vorbereitet. Die Vorträge finden vielleicht noch Febraur-März statt. – Du hast noch nicht geschrieben ob Du bei Vetter n u. bei {o} warst. Versäume es ja nicht. Onkel p läßt Dir für den Geburtstagsbrief3 herzlich danken, schreib auch einmal an Onkel q u. nach r; es wird dann auch ein Packetchen nicht ausbleiben. – Ich kann mit meinem Gesundheitszustand im ganzen zufrieden sein; auch die andern befinden sich wohl. Nun behüt Dich Gott, mein lieber Sohn. Bußtag oder Totenfest gehen wir zum Abendmahl.

Es küßt Dich Dein tr. s.

Fußnoten, Anmerkungen

1Im Winter-Semester 1905/06 besuchte Paul Tillich in Halle folgende Lehrveranstaltungen: Kirchengeschichte II bei c, Neutestamentliche Theologie bei d, Psalmen bei e, Dogmatik II (Christologie), Matthäus und Systematisches Seminar bei f und Philosophische Übungen (g) bei h. Vgl. i.
2Vgl. l.

Register

aBerlin
bTillich, Paul
cLoofs, Friedrich
dHaupt, Erich
eKautzsch, Emil
fLütgert, Wilhelm
gFichte, Johann Gottlieb
hMedicus, Fritz
iNeugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschicht..., 2007
jLütgert, Wilhelm
kLütgert, Wilhelm
lTillich, Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium, 1906
mStrack, Hermann
nSchmidt
oKnak, (Familie)
p???, Adolf
qDürselen, Paul Rudolf
rKöln
sTillich, Johannes Oskar

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974., bMS 649/193
Typ

Brief, handschriftliches Diktat

Postweg
Berlin - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Paul Tillich an Johannes Tillich vom 15. Juli 1905 [PS]
nächster Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Johannes Tillich an Paul Tillich vom 19. Februar 1906

Entitäten

Personen

Orte

Literatur

Zitiervorschlag

Brief von Johannes Tillich an Paul Tillich vom 16. November 1905, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00091.html, Zugriff am ????.

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