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22. Oktober 1931.

Sehr geehrter Herr Dekan!1]

Die Gerüchte, die sich seit nunmehr 3 Semestern um das Interesse der Fakultät an meiner Person gebildet haben und sich immer neu bilden, sind, wie ich schon Ihrem Herrn Amtsvorgänger mitgeteilt habe, sehr wenig erfreulich. Immerhin dokumentieren sie, dass dadurch, dass eine direkte Beziehung zwischen der Fakultät und mir fehlt, weite Tore für Missverständnisse eröffnet werden, die der Würde der Fakultät ebensowenig dienlich sind wie mir. Sie beweisen fernerhin, dass die heutige, alle alten guten Sitten und Formen anmorschende Zeit auch die akademischen Gepflogenheiten anfressen und das das Fakultätsgeheimnis nicht mehr existiert. Da glaube ich dann, dass es beiderseits wünschenswert ist, den nur noch Kulisse bedeutenden Abstand wegzuräumen und dass ich meinerseits versuche, mit der Fakultät in eine direkte Besprechung zu treten.

Vor allen Dingen wichtig ist mir, der Fakultät mitzuteilen, um welche Bedürfnisse und Wünsche es sich meinerseits handelt:

Im Jahre 1924 wurde das Afrika-Archiv von der Stadt Frankfurt im Einvernehmen und unter finanzieller Teilnahme des Preussischen Kultusministeriums zwecks Angliederung an die Frankfurter Universität und als Arbeitsgrundlage für das ebenfalls dem Lehrwesen der| Universitaet zur Verfügung zu stellende Forschungs-Institut für Kulturmorphologie übernommen. Hiermit in Verbindung steht ein Lehrauftrag, den mir am2] das Preussische Kultusministerium erteilt hat.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren Archiv und Institut durchaus private Unternehmungen und in diesem Sinn auch geleitet. Die Angliederung an die Hochschule musste mir neue Richtlinien für Fortführung der Arbeit und Ausbildung meiner Mitarbeiter geben. Die Umschaltung kommt deutlich zutage in der Neuformung des Atlas Africanus, wo Heft 4 - 8 einen neuen Charakter erhielt, der allen akademischen Anforderungen Rechnung trägt; dann und vor allen Dingen in der Expedition von 1928 - 1930,3] an der fünf meiner Assistenten und ein Student teilnahmen. Was diese Arbeitsgemeinschaft geleistet hat, kann als Massstab dafür gelten, ob sie ausser der früher gepflogenen wissenschaftlichen Gründlichkeit auch die akademischen Gepflogenheiten gepflegt hat. Soweit ich nach den mir aus In- und Ausland zugeflossenen Urteilen entnehmen kann, ist die Beurteilung eine erfreuliche.

Nunmehr muss für mich, wie es mir als selbstverständlich erscheinen will, auch für die Hochschule, der wir angegliedert sind, die Frage entstehen, inwieweit diese Institution und der in ihr wirkende Geist gefördert und ständig gehoben werden können, denn wenn solche Leistungen, wie wir sie z.B. meinen Mitarbeitern der letzten Expedition verdanken, bejaht werden, dann muss diese Frage jetzt gestellt und beantwortet werden. Ich betone an dieser Stelle| ausdrücklich, dass dies die Frage ist, mit der ich mich heute an Sie und die Fakultät wende.

So wie die Verhältnisse liegen, ist das Forschungs-Institut und die Ausbildung seiner Kräfte leider an meine Person gebunden, und ich sehe meinerseits leider keine Möglichkeit, meine Person heute schon aus dem Gebilde zu lösen, ohne es dem Untergange preiszugeben. Mein inniger Wunsch ist es aber, mich sobald als möglich aus dem Mittelpunktdasein zu lösen und die Leitung in andere Hände zu legen. Diese müssen aber erst geschult werden. Nun hat mir im vorigen Jahre ein Vertreter des Herrn Kultusministers freimütig gesagt, dass eine andere Lehrkraft in Deutschland eine solche Aufgabe nicht zu lösen vermöge. Im Kreise der mit mir arbeitenden Assistenten und Studenten sind aber durchaus Kräfte enthalten, deren Tätigkeit jetzt schon zu besten Hoffnungen berechtigt.

Unter diesen Umständen musste naturgemäss der Wunsch in mir lebendig werden, von der Fakultät das Prüfungsrecht zu erhalten. Wenn mir dieses zuteil würde, so wird wohl die Möglichkeit gegeben sein, einen guten Stamm für weitere Entfaltung des Instituts auch nach dessen sehr ernsten und schweren wissenschaftlichen Anforderungen zu erziehen. Dass ich selbst nach einem durchaus anders gearteten Leben nicht mehr ein idealer Hochschullehrer werde, – hierüber bin ich mir wahrscheinlich klarer als irgend jemand sonst. Es wird mir sicherlich sehr schwer werden, meine Anforderungen an die Arbeiten anderer auf das Mass herabzuschrauben, das eine Promotion zulässt. Es ist aber meine Absicht, in kurzer Zeit einen meiner Assistenten der Fakultät zu präsentieren mit der Bitte, ihm die venia legendi zu erteilen.4] Dieser Mann, der| von seinen früheren Lehrern hoch geschätzt wird, verfügt über das, was mir fehlt, nämlich über eine grosse pädagogische Begabung.

Nun wird mir mitgeteilt, dass die Prüfungsberechtigung nur im Zusammenhang mit einer Honorarprofessur erteilt werden kann. Wenn dem wirklich so ist, so beruht hierin ein ernstes Dilemma. Ich bitte Sie, hochverehrter Herr Dekan, doch noch einmal nachzuforschen, ob es nicht eine andere Möglichkeit gibt, das Prüfungsrecht für die uns nötige Zahl von Jahren zu erteilen. Denn so gleichgültig für einen Menschen, der seine letzte Gestalt durch das Leben selbst erhielt, wie für mich diese an sich mir mehr formal erscheinende Frage ist, so wichtig ist sie natürlich für eine Gemeinde, deren Mitglieder in einem Titel ja "die Stellung eines Professors" eine tiefe Bedeutung haben muss. Gerade dieser Punkt rührt ja aber wohl all das wieder auf, was die Geschichte meiner Person betrifft.

Bedauerlicherweise lässt sich der ganze Fragenkomplex des Institutes, mit deren Geschick "leider" – wie ich oben sagte, mein Name verbunden ist, nicht behandeln, ohne diese Geschichte meiner person zu behandeln. In ihr kommt ein Grundzug der deutschen Geistesgeschichte drastisch zum Ausdruck. Im Jahre 1898, – bis zu welchem Zeitpunkt ich trotz meiner Jugend mit sehr freundlichem Blick betrachtet wurde, erschien der erste Abriss meiner Kulturlehre.Es war damals von "hochakademischer" Seite die Beweisführung geleistet, dass die Nackenstütze auf Neuguinea vom jonischen5] abstamme und ähnliches mehr Mein jugendlich scharfer Protest hatte eine allgemein Ächtung zur Folge, die hauptsächlich von Professor v. Luschan, später von Geheimrat Bode und andern im In- und Ausland geschürt wurde. Die Lehre wurde zunächst als "utopisch", "wirr" und Ausdruck "patologischen" Geistes gestempelt. Es wurde dann zwar die| die Lehre von Ankermann, Graebner, Schmidt etc. übernommen, ich selbst aber diminiert und mit allen Mitteln über die menschliche Zerstörungsfreude verfügt, verfolgt. Noch neuerdings wurde ich z.B. von Südrhodesien aus in unsinniger Weise aus blauem Himmel heraus angegriffen und Nachforschungen, die ich im englischen Kolonialamt anstellte, haben ergeben, dass diese Attacken auf Hetzerein zurückzuführen sind, die die Vertreter deutscher Wissenschaft sich 1909 und 1910 in Paris und London leisteten.

Es ist also ein recht trübes Bild, als welches sich ein Teil der geistigen Welt Deutschlands in meinen Augen widerspiegelt. Aber ich habe nie vergessen, dass gerade die wesentlichen Vertreter der deutschen Wissenschaft danach gestrebt und gedrängt haben, zu sieben und wieder zu sieben und dass dieses Bedürfnis in unsicheren Charakteren unerfreuliche Nebenerscheinungen erzeugt. Und ich bin der festen Ueberzeugung, dass heute, wo mein gesamtes Lebenswerk deutlich im Archiv für jedermann übersichtlich vorliegt und wo der Typus, den dieser menschlich gestaltet in meinen Mitarbeitern erkennbar ist, mir von der Wissenschaft diejenige Anerkennung zuteil wird, die ich als Mensch und Wissenschaftler fordern darf und muss.Anmerkung Kollegen an Erdball!

Diese Anerkennung kann abereinzig und allein lediglich darin beruhen, dass meinem Lebenswerk die Sicherung zuteil wird, deren es bedarf, um auch Späteren die Entfaltung des Wissens zu übermitteln, dessen Grundlegung nur noch zu meiner Zeit auf afrikanischer Erde ausgeführt werden konnte.

Für diese Sicherung nun sehe ich nur die einzige Möglichkeit,| dass ein Prüfungsrecht in meine Hände gelegt wird – eine Entscheidung, die an sich ja nichts anderes wäre als die sinnvolle Konsequenz des schon erteilten Lehrauftrages und derzufolge dann die Studenten des Instituts nicht mehr zur Promotion anderen Universitäten überwiesen werden müssten. Aber es ist durchaus wahrscheinlich, dass ich nicht alle Wege übersehe, die eine Lebenssicherung des Institutsgeistes sichern. Deshalb richte ich an Sie die Bitte, Ihrer Fakultät sowie auch der Naturwissenschaftlichen Fakultät nachstehende Wünsche zu unterbreiten:

1) einen Ausschuss von Herren der beiden Fakultäten damit zu beauftragen, die Arbeitsweise, die Materialbehandlung und die Studienaufgaben des Instituts zu berichtigen,

2) nach dieser Berichtigung dann mit mir in direkte Beratung zu treten, in welcher Weise die Erhaltung der kulturmorphologischen Geistigkeit erreicht werden kann.

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    Literatur:

    • Atlas Africanus. Belege zur Morphologie der afrikanischen Kulturen, hg. von Leo Frobenius et al., 1921ff.