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den 01.09.1920

Hannah!

Eben habe ich Frau Apelius das Kapitel: „Aus dem Lande der Bildung“ aus Zarathustra vorgelesen; es ist aufregend in seiner Wahrheit, so wie das Meer gestern über die Molen taumelte im Weststurm, so daß ich vor Raserei fast verging! Hannah! werden wir nicht auch zur Heimat aller Farbentöpfe! Überall ein Bischen Wissen, ein bischen Verstehen, nirgends ein machtvolles Nein, nirgends ein abgrenzender Haß, ein Wille zum Neuschaffen! Wir wollen auch gut machen an aller Zukunft diese Gegenwart! Ich danke Dir für Dein irdisches Buch; ich danke Dir für Deinen Brief; ich danke Dir auch, daß Du mir Deinen Brief an Deine Schwester hast schicken lassen, auch daß Du Deinen Geburtstagsbrief von Deinem Mann hast unterschreiben lassen! Warum hast Du eigentlich Deiner Schwester erzählt, was los ist? Doch auch Lotte Storch und Uli Fricke? Daß es nur nicht irgendwie öffentlich wird! | Von allen Dreien bekam ich einen Geburtstagsbrief, der ganz ein Stück Deines Geistes war! Du bist stark über die Menschen. Hannah, was macht Dein Leib, um den ich mich bange? Schreib gleich etwas darüber! – Gestern und heut war Nord-Ostwind und das Meer in unsäglicher Herrlichkeit! Wäre ich ein Heide, mein erster allererster Gott wäre die grüne Meerestiefe und ich bin es ja; ich bete sie ja an, sooft sie ihre Schlünde öffnet und der weiße Schaum hervorspritzt. Hier die Molen und Steinmauern schaffen einen Anblick der Dynamik des Meeres, wie sonst kein Strand. Hannah, weißt Du, was es heißt, nicht mehr „Ich“ sondern nur noch Erlebnis sein? In der Liebe und dem Wellentoben bin ich „enticht“, bin ich Du, bin ich Meer! – Du bist immer bei mir, Du bist stark über mir wie eine Riesin, eine Göttin, Du bist das All, in dem ich bin!

vom 1. Sept ab: Berliner Adresse!

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