Hannah, liebe Geliebte!
Gestern Dein herrlicher leidenschaftlicher Brief, wie hat er meinen sehnsüchtigen,
arbeitsreichen Tag erfüllt! Wie hat er mir eine Glücksmöglichkeit der Zukunft gezeigt,
die über all mein Denken und Verstehen geht! Nach solchen Worten von Dir bin ich sehnsüchtig,
und weiß doch, daß sie nur selten kommen können, kommen dürfen! – Während ich dieses
schreibe, duften die Rosen auf dem Geburtstagstisch, den ich Tante Tonizu Weihnachten aufgebaut habe, nebenbei aber holt mir Greti auf einem Leiterwagen Möbel weg, nur so viel wie sie braucht; aber der Ersatz macht
doch Schwierigkeiten, und Toni ist ganz elend dadurch. So löst sich die Vergangenheit auf, und es ist fraglich,
ob eine neue Zukunft sich aufbauen wird im Äußeren; denn da wirst auch Du mir kaum
helfen können. – Eben kommt Dein Brief an Toni, und die Nachricht, daß auch dieser Weg versperrt ist; so schreibe ich wieder nach
Gera und hoffe, daß es irgendwann an Dich gelangt. Überanstrenge Dich nur nicht wegen
der Schriftblätter; Du |
mußt stark bleiben für alles Kommende. – Am Mittwoch Abend bot mir der Leiter der
Hochschule für Politik eine Vorlesung für nächsten Winter an. Kommt es zu Stande,
so habe ich dadurch ein ganz schönes Einkommen. Bitte antworte mir, selbst wenn Du
wenig Zeit hast, betr. der schwedischen Sache, damit ich etwas in die Wege leiten
kann. Jedes Tun beglückt mich, dieser grausame Zustand des Wartens aber vor den Entscheidungen
macht mich mürbe. – Hast Du eigentlich das Buch von Knut Hamsun? Dann würde ich mich freuen, wenn Du es mir einmal schicken könntest. Die „Neuen
Bilder“ von Rilke sollst Du zum Geburtstag haben, den ich so schnöde vergessen habe. Aber unser Geburtstag
liegt ja noch vor uns, und wenn er da ist, soll er ein immerwährendes Fest sein. Hannah,
ich schreie nach Dir, nach jedem Wort, jedem Ding von Dir. Ich kann, ich will mich
nicht von Dir wegkonzentrieren auf die Arbeit. Ich will leben, und das heißt: Ich
will Dich!