Der editierte Text

|
1Geliebte b!

Eine ganze Woche nun ohne einen Brief von Dir; das ist schwer zu tragen; aber es ist wohl wieder die Länge des Weges meiner Briefe über c daran schuld. Doch warum bist Du so gerecht? Und stellst Dich auf den Standpunkt der Lehrordnung statt der Gnade? – Und ich habe sie so nötig; denn ich bin so belastet mit Arbeit, daß ich kaum atmen kann; gestern schloss ich mit d ab, und nun kommt die ganze hellenistische Periode in den 14 Tagen, die noch bleiben, dazu der Artikel, an dem ich mir Seite für Seite abquäle. – Gestern Abend war Sitzung unseres religiös-sozialen Kreises. Da wurde mir plötzlich evident, daß Du bald kommen musst. Zahllose Fragen und Begriffe und Unklarheiten bewegen die Seelen der Besten, besonders der Jugend; und ich habe auf Vieles Antworten; ich könnte ¿¿¿ helfen hier und dort; und alle warten auf mein Buch. Und ich kann mich nicht voll entfalten, weil Du fehlst. Ich bin hin- und hergetrieben zwischen Menschensehnsucht und Asketik, zwischen Pflichten und Lüsten; ich kämpfe um meine Zeit und Kraft.| Und nicht nur Dinge und Menschen außer mir, sondern auch die Kräfte in mir, die sich befehden, wollen sie mir nehmen; an Dir hätten sie ihre vollkommene Einheit: Meine Sehnsucht nach Menschen wäre Ruhe, wenn ich sie aus Dir und durch Dich empfinge; meine Sehnsucht nach Lust ist im Geist erfüllt, wenn Du da bist; meine Sehnsucht nach Liebe ist der Strom, der meine Arbeit trägt, wenn ich Dich lieben kann in Erfüllung. e ich bitte Dich um der Vielen willen, die auf mich warten: Komm! Gib mir die Einheit meines Lebens, die ich jetzt nur finde im Abstoßen vieler Seiten; gib mir die Einheit der Fülle! – Heut ist f |:bei dir:|; mir ist es als ob ich irgendwie mit ihr gefahren und zu Dir gekommen wäre; ich freue mich auf den Hauch Deines Wesens, den sie mir bringen wird. Ich freue mich auf alles, alles was von Dir kommt! – Heut früh kam ein eingeschriebener Brief2 mit 50 M und dem Satz: "Schäbige Materie für goldenen Enthusiasmus. Zwei Scholaren." Macht 25 Tage lang täglich ein Ei zum zweiten Frühstück. – –

In vieler großer Liebe
Dein g

Fußnoten, Anmerkungen

1 Am oberen Rand des Briefes wurde von fremder Hand (wahrscheinlich a) "Feb. 21" vermerkt.
2Liegt nicht vor.

Register

aTillich, Hannah
bTillich, Hannah
cStorch, Lotte
dAristoteles
eTillich, Hannah
fStorch, Lotte
gTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard, Harvard Divinity School Library, Tillich, Hannah. Papers, 1896-1976, bMS 721/2(17)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
unbekannt - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich ohne Datum, vermutlich Juni 1922
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich ohne Datum, vermutlich 1920 oder 1921

Entitäten

Personen

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich von Februar 1921, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L01366.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

{{Internetquelle |url=https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L01366.html |titel=Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich von Februar 1921 |werk=Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition. |hrsg=Christian Danz, Friedrich Wilhelm Graf |sprache=de | datum= |abruf=???? }}
L01366.pdf