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01.01.1922

Süße geliebte Hannah!

Es ist Abend eines Segel-Sonntags; ich bin müde von Luft und Wasser; aber es ist ein schönes Müdesein; nur meine Seele ist leicht und fliegt zu Dir hin und sieht Dich mit Deinem Johannes an der Brust und freut sich des süßen Kindes, für dessen Bild ich Dir danke, und freut sich der herrlichen Mutter,dest deren ersehntes Bild nicht kommen will. – Mein Hannahchen! Fürchte nie, daß ich Dein Kind nicht lieb haben werde; denn ich liebe Dich ja als Mutter, und ich wollte, daß Du Mutter würdest, liebende, urmenschliche Mutter! Und ich litt fast darunter, daß Du so negativ zu dem Kind standest! Ich hab Dich fast gezwungen, Ja zu ihm zu sagen; wie sollte jetzt auch nur der Schatten eines Nein mich berühren können. Innerlich darf es nie einen Konflikt zwischen Mann und Kind für Dich geben. Denn ich liebe, was Du liebst; und es darf nichts Trennendes in unserem | Leben sein, sondern nur Verbindendes, auch wenn wir daran zu tragen haben! – So ist es innerlich, aber äußerlich ist es ganz anders. Ich war gestern sofort nach Empfang Deines Briefes mit Hanno Gelau zusammen. Wir fuhren hinaus und segelten mit dem Mann und meinem Freund eine Stunde lang. – Es handelt sich in der ganzen Sache nur um eine Frage: Soll unser Zusammenleben schon jetzt beginnen oder erst wenn wir verheiratet sind? Das aber hängt davon ab: Willst Du in dieser Zwischenzeit im Wesentlichen auf das Kind verzichten, und für den Beruf und mich da sein oder willst Du in einem fremden Hause wohnen und Deinem Kind leben? Ich stelle die Alternative absichtlich in ihrer ganzen Schärfe heraus, und so daß mein eigner Egoismus unverhüllt offen liegt. Mein Gedanke war ein Zusammenleben, das sich von der Ehe nur dadurch unterscheidet, daß Du pro forma eine andere Wohnung hast. Hannos Gedanke ist, Dir | eine Stätte zu geben, wo Du Deinem Kinde lebst und ich Dich hin- und wieder sehen kann. D.h.Das heißt wir bleiben unverheiratet, ich bleibe Junggeselle und Du Witwe. – Von dieser Alternative kann nichts nachgelassen werden. Du sollst bei Gelaus den ganzen Haushalt führen; d.h.das heißt Du gehörst von Morgens bis Abends der Familie und in den Zwischenzeiten dem Kind; für mich blieben nur Stunden, die ich durch einen freien Abend oder Nachmittag erkaufen müßte. D.h.Das heißt die Zerspaltenheit meines Lebens würde vermehrt. – Und nun die andere Seite: Wenn Du bei Gelaus bist, hast Du Dein Kind und eine Dir angenehmere Tätigkeit als Büro, und hättest gegen Eltern und Albert eine glänzende Position. Bist Du in meiner Nähe, so hast Du schwere Arbeit, kannst Dein Kind im besten Fall nur kurze Zeit täglich oder nur alle paar Tage sehen, gibst es in fremde Hände und hast die Sehnsucht nach ihm. – Das Gespräch | mit Hanno hat mir diese Alternative ganz evident gemacht. Es ist letztlich unmöglich für mich, sie zu entscheiden, da ich im höchsten Grade beteiligt bin und es sich letztlich allein um Deine Gefühle handelt. Ich kann nur noch eines tun: Eine Wohnung für Dich suchen, wo Du mit Kind wohnen könntest, und die Frau das Kind besorgen würde; aber das ist sehr unwahrscheinlich. Rechnen mußt Du mit dem, was ich oben gesagt habe. Hanno ist bereit, die Entscheidung bis Oktober aufzuschieben; Du hast also Zeit, Dein Fühlen und Wollen genau zu prüfen. Verzeih die nüchtern-sachliche Art, mit der ich so etwas schreibe; aber ich muß das; nur dann sehe ich klar, und nur dann kann ich Dir sagen, was ich meine, wenn ich ganz klar alle Möglichkeiten bedenke. Wieviel schwere Gedanken in diesen nüchternen Worten stecken und wieviel Sehnsucht und Liebe weißt Du ja!

Dein Paul.

Toni kommt Mittwoch. Schreib sofort an Otto und Albert!

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