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Geliebte Hannah!

Vorgestern Abend war Lotte Storch bei mir und hat mir von Dir erzählt. Was sie sagte, möchte ich in drei Sätzen zusammenfassen: daß Du sehr glücklich bist, daß ich kommen soll und Dich erlösen, daß Du fühlst, ich bin jetzt nicht ganz bei Dir.

Ich will mit dem Dritten beginnen: Ich kann dazu nur sagen, was ich Dir in den beiden letzten Briefen schon schrieb, daß ich müde bin, ganz einfach Semester-müde, daß ich eine Produktion vollbracht habe, die das Übliche weit übertrifft, und daß nun die Erschöpfung sich notwendig einstellt. Gestern sagte ich im Kolleg, daß jede Liebe Gnade in sich hätte, daß die altstoische Menschenliebe Gesetz und nicht Gnade wäre. Ich fragte Dich, ob Du die Liebe haben könntest, die Gnade ist auch gegen die Perioden meiner Erschöpfung; Du hast noch nicht darauf geantwortet; Du darfst hart sein in allem was mein Leben anbetrifft; Du darfst Verzicht auf alles verlangen; aber wo es sich um mein Werk und seine Notwendigkeiten handelt, da werde ich hart bis zur Vernichtung meines Lebensglückes; einst sagtest Du, daß Du es so wolltest; und jetzt, wo es Dir schmerzlich empfindsam wird, was sagst Du jetzt? – Denke nur nicht, daß andere Frauen oder das Leben dieser Wochen mich im Geringsten von Dir ablenken könnten: Hannah In jedem Moment der Liebe ist mir ein tiefer Schmerz, daß Du nicht da bist. Ich glaube fast, ich bin Dir treuer als Du mir in diesen Dingen; aber es ist mir doch mehr Glück als Qual, daß ich es bin.

Und nun das Andere, das zusammen gehört: Hannah! Ich komme nicht, Dich zu erlösen, solange Du dort sehr glücklich bist. Ich zerstöre kein Glück. Ich habe es Dir gesagt und sage es Dir immer wieder, daß mein Kampf um Dich nicht ein Kampf um mein Glück ist. Ich kämpfe nicht mit Albert. All die Intensitäten, die in diesem Kampf verwendet werden, um den Gegner zu überwinden, verachte ich. Ich will nur eine Waffe verwenden: Mein Sein. Und es soll Dir der Stachel sein, der Dein Glück in Qual verwandelt. Ist er das nicht, dann bin ich entweder Dein nicht wert, und es muß ein Höherer kommen, der Dir Deine Nichtigkeit offenbart; Oder! Du bist mein nicht wert, und bist nur das Weibchen, das an der Gegenwart einer starken Liebe sein Schicksal vergeudet. In beiden Fällen muß ich die tiefste Wurzel, die je ein Mensch in meiner Seele gefaßt hat herausreißen: Und das wäre der tiefste Schmerz meines Lebens. Aber ich tue nichts, ihn abzuwenden: Ich warte, bis Dein Dämon, die Schicksalsstimme in Dir, das Urteil spricht über Dein gegenwärtiges Sein; ich glaube an Deinen Dämon, mehr als Du selbst. Aber ich nehme sein Urteil nicht vorweg. Denn wenn er nicht gesprochen und Dein Gegenwartsglück zerbrochen hat, dann wird in Zukunft die Sehnsucht nach diesem Glück als Reue Dein höheres Schicksal zerbrechen. – Du sprichst jetzt viel von Form und verachtest fremde Formlosigkeiten. Ich gab Dir Recht. Ich sagte Dir aber schon, daß Goethes Endform der Geheimrat war und nicht der Erlöser seines Volkes. Flüchte in diese Form in dieser Zeit, wo mir die korrupte Geistsehnsucht eines Arbeiters mehr Gottesoffenbarung zu enthalten scheint, als alle Goethe-Geformten. Geh dorthin, aber fühle den Fluch derer, die Offenbarung von Dir verlangten, und vor denen Du Dich in die Villa einer geklärten Form zurückzogst, damit sie weiter hungern und Du satt bist.

Hannah! Es gibt nur dieses zwischen uns, daß Du als Freie oder Ringende oder Qualerfüllte mich rufst; aber nicht, daß Du Dich in Glück einspinnen läßt, aus dem ich Dich hole; ich bin kein Dornröschenprinz und Du kein Dornröschen. Aber ich bin die Wetterwolke am Horizont Deines Glückes; ich bin der Berggipfel, der Deine Ebene begrenzt, ich bin das Meer, das an Deine grünen Ufer rollt; nur so will ich Dich erlösen; und so ist alle meine Sehnsucht gerichtet auf das Schicksal, das Dich zum Aufbruch zwingt. Aber ich komme nicht, einem Manne sein Weib zu nehmen.

Der Feind Deiner Ruhe und Deines Glückes.
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