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den 01.01.1922

Hannah, Hannah!

Wie erlöst hat mich Dein Brief aus frommer Not, die nach einem unsäglich schönen Sonntag-Vormittag am Montag Abend auf mich fiel, als M. L.die neuesten Dinge über Albert berichtete. Ich kann nicht wie Du, auf einen Augenblick, den ungeheuren Ernst, unter dem wir stehen, vergessen; ich fühle mich schuldig in jedem Augenblick, wo ich ihn geringer empfinde, nicht aus Weichheit und Mitleid, sondern aus der Wucht der Sache selbst, die ich ganz mit Dir erlebt habe. – Deiner Mutter Brief ist sehr schön und hat sie mir nah gebracht. Sie hat eine ähnliche Karte an M. L. geschrieben. Diese Einheit von Güte und eigenem Standpunkt ist wundervoll. – M. L. hat mit Erna Gottschow gesprochen, die sehr vernünftig war und weitgehend Dich verstand, ohne Dich zu billigen. Sie geht nicht zu Albert, der ihr auch abtelegraphiert hat. – Schillbachs verstehen Dich gar nicht. Sie und Albert haben den Verdacht, daß etwas „anderes“ dahinter steckt, | also wohl ich; und M. L. meint, wir müßten sehr vorsichtig sein, damit nicht falscher Verdacht entsteht. Ich möchte Dich nun bitten, und ich habe es nicht M. L. gesagt, offen einzugestehen: 1. Daß Dumein einige Stunden bei mir warst, um zu telephonieren und mir zu erzählen. 2. Daß Du auf Grund einer Anfrage an mich zu meinem Schwager nach Bremen gegangen bist. (Alle fragen, wer die neue „Freundin“ Trude Horn ist). 3. Daß ich Dir geschrieben und gesagt habe, daß Du bis an die Grenze des Möglichen zu bleiben verpflichtet bist, daß ich Dir aber helfe, nachdem Du trotzdem gegangen bist. Ich habe daran gedacht, dieses von mir aus an Albert zu schreiben, möchte aber Deinen Rat haben. – – Genügt es nicht, wenn ich die Korrespondenz mitbringe; ich vertraue sie selbst eingeschrieben nicht der Post gern an? – Der Theologische Lehrstuhl ist Unsinn; erstens kommt alles auf das „Wie“ an; zweitens bist Du mir mehr wert, als ein „Stuhl“; drittens gibt es philosophische Stühle; viertens kommt alles auf meine Leistung an. – Über Deine ersten Tage dort und Dein Eintauchen | in den Geist des Bremer Hauses freue ich mich sehr. Tauche nur weiter! Und denke daran, daß ich von jedem Wort lebe, das in diesen Tagen von Dir kommt. Alle Tiefen und Höhen meines Seins sind in Erschütterung.

Paul.
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