Hannah, Hannah!
Wie erlöst hat mich Dein Brief aus frommer Not, die nach einem unsäglich schönen Sonntag-Vormittag
am Montag Abend auf mich fiel, als M. L.die neuesten Dinge über Albert berichtete. Ich kann nicht wie
Du, auf einen Augenblick, den ungeheuren Ernst, unter dem wir stehen, vergessen; ich
fühle mich schuldig
in jedem Augenblick, wo ich ihn geringer empfinde, nicht aus Weichheit und Mitleid,
sondern aus der
Wucht der Sache selbst, die ich ganz mit Dir erlebt habe. – Deiner Mutter Brief ist sehr schön und hat
sie mir nah gebracht. Sie hat eine ähnliche Karte an M. L. geschrieben. Diese Einheit von Güte und eigenem
Standpunkt ist wundervoll. – M. L. hat mit Erna Gottschow gesprochen, die sehr vernünftig war und weitgehend
Dich verstand, ohne Dich zu billigen. Sie geht nicht zu Albert, der ihr auch abtelegraphiert hat. –
Schillbachs verstehen Dich gar nicht. Sie und Albert haben den Verdacht, daß etwas „anderes“ dahinter
steckt, |
also wohl ich; und M. L. meint, wir müßten sehr vorsichtig sein, damit
nicht falscher Verdacht entsteht. Ich möchte Dich nun bitten, und ich habe es nicht
M. L. gesagt, offen
einzugestehen: 1. Daß Dumein einige Stunden bei mir warst, um zu telephonieren und mir zu erzählen.
2. Daß Du auf Grund einer Anfrage an mich zu meinem Schwager nach Bremen gegangen bist. (Alle fragen,
wer die neue „Freundin“ Trude Horn ist). 3. Daß ich Dir geschrieben und gesagt habe,
daß Du bis an die
Grenze des Möglichen zu bleiben verpflichtet bist, daß ich Dir aber helfe, nachdem
Du trotzdem gegangen
bist. Ich habe daran gedacht, dieses von mir aus an Albert zu schreiben, möchte aber Deinen Rat haben.
– – Genügt es nicht, wenn ich die Korrespondenz mitbringe; ich vertraue sie selbst
eingeschrieben nicht
der Post gern an? – Der Theologische Lehrstuhl ist Unsinn; erstens kommt alles auf
das „Wie“ an; zweitens
bist Du mir mehr wert, als ein „Stuhl“; drittens gibt es philosophische Stühle; viertens
kommt alles
auf meine Leistung an. – Über Deine ersten Tage dort und Dein Eintauchen |
in den Geist des Bremer Hauses freue ich mich sehr. Tauche nur weiter! Und denke daran,
daß ich von
jedem Wort lebe, das in diesen Tagen von Dir kommt. Alle Tiefen und Höhen meines Seins
sind in Erschütterung.