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den 01.08.1921

Liebe Hannah!

Ein kleines Vorspiel als Antwort auf all die Scherze, die Du zu meiner Freude mit der „schönsten, klügsten, pikantesten Frau“ gemacht hast: Du bist eine echte Frau und ich freue mich, daß Du es bist, und weiter habe ich dazu nichts zu sagen; denn daß es positiv für Dich und nicht negativ gemeint war, das ist ja klar und folgt aus dem ganzen Brief, von dem ich hoffe, daß Du ihn im Ganzen doch verstanden hast! – – – Deine Gedichte habe ich bekommen; ich habe doch viel Freude an ihnen und es wird mir schwer, sie Dir zurückzugeben; einzelne der Greizer sind vollendet. Auch Deinen Roman habe ich gelesen und mich an den Schilderungen der Kostümfeste gefreut. Die übrigen werde ich weiterbefördern. – Ich befinde mich augenblicklich wie in einer ganz schweren Krise. Die Grundlage ist wohl körperlich; Hiddensee mag zu stark gewesen, und daß ich von Anfang an dort gearbeitet habe, nicht gut gewesen sein; jedenfalls bin ich jetzt hier in Berlin unsäglich müde und | deprimiert; hinzu kommen einzelne Fakten: Toni hat 500 Mk mehr ausgegeben als sie sollte und ich bin jetzt völlig ohne Geld, und die Teuerung ist so groß, daß ich nicht weiß, wie ich den Winter durchhalten soll, und der Körper ist so schwach, daß ich nicht weiß, wie ich die Arbeit durchhalten soll. Dann die dauernden Verhandlungen mit den Rechtsanwälten über Ehescheidung und Kindesanfechtung, erst schriftlich, jetzt mündlich. Die Lage ist jetzt die, daß 1) Ende November die Ehe geschieden wird. 2) Die Ehelichkeit des Kindes ohne Namensnennung von Wegener angefochten wird. 3) Ein Kontrakt zwischen Wegener und dem Vormund gemacht wird. – Gelingt das alles, so bin ich frei und habe alles hinter mir in dieser Sache; aber noch liegen die Berge vor mir. – Das Schlimmste aber ist das Gefühl, in der Arbeitskraft den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. – Ich glaube, es kommt auch hinzu, daß das Erotische so unvollkommen geht. Ich war in Kloster ganz zurückhaltend, auch gegen den „Stern“, die Repräsentantin Deiner „See- und Landsterne“. Und es war gut; denn sie | hat nun einen anderen gefunden, der vielleicht für sie entscheidend ist. Sie vertraut mir völlig und ich habe ihr in allen Liebesdingen immer so geraten, daß ich gegen mich als Mann sprach, um sie vor Dummheiten mit anderen Männern zu schützen. – Was soll nun werden? Ich habe all die Halbheiten so satt; nur Du kannst mir Ganzheit sein; und Du bist weg; und wenn Du hier bist, ists dann nicht die schlimmste Halbheit?

Ich weiß nicht, was aus all dem, was aus mir werden soll; ich brauchte eine Heimat, physisch und seelisch; ich weiß nicht, was ich brauchte; ich bin müde, so namenlos müde!

Montag fahre ich nach Dölzig und hole die Kinder ab für Bremen, dann noch in Bremen ein paar Tage; dann das Semester! Schreibe Du immer nach Berlin; es wird mir alles nachgeschickt!

Ich habe auf den Steinen von Hiddensee viele große Erleuchtungen | über religionsphilosophische Dinge geholt. Mir ist klar geworden, warum unsere Religionsphilosophie so fruchtlos ist: Weil sie von vornherein von einem Bewußtsein ausgeht, das ohne Gott ist; natürlich kann sie dann nie zu Gott gelangen; denn Gott ist nie eine Ergänzung oder das zweite, sondern immer das erste; sonst ist sein Wesen aufgehoben. – Ich habe diese Gedanken in einem Aufsatz „Die Überwindung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie“ zum Ausdruck gebracht; er ist allerdings noch nicht ganz fertig. Aber ich glaube, daß er nicht ohne Einfluß bleiben wird. Wenn ich doch eine Lage finden könnte, in der ich diese Dinge in Ruhe bearbeiten könnte. Aber vielleicht ist der Weg der Qualen, den ich immer gehe, der notwendige für mich, „damit ich mich der hohen Offenbarungen nicht überhebe“. – Ich grüße Dich in tiefer Liebe, ich lege meine müde Seele in Deine heißen Hände, daß sie neu zu glühen anfängt. Gib mir Ruhe, irgendwo, irgendwie, irgendeine kleine Ruhe.

In tiefer Betrübnis der Seele
Dein Paul.
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