L. H.!
Heut nun in Eile die Abschrift meines Briefes an Albert. Bitte bewahre sie auf! Ich denke immer an Dich!
Sehr verehrter Herr Gottschow!
Frl. Necke hat mir mitgeteilt, daß Sie in meiner Abwesenheit angeläutet haben, und den Wunsch
äußerten,
mit mir zu sprechen. Es tut mir sehr Leid, daß wir uns verfehlt haben. Denn auch ich hätte nach
allem was geschehen ist, Sie gern gesprochen. Da es nun zweifelhaft ist, wann Sie
einmal wieder Gelegenheit
haben, nach Berlin zu kommen, ist es Ihnen vielleicht Recht, wenn ich Ihnen ein paar Worte schreibe.
– Ich habe Hannah auf ihrer Durchfahrt nach Bremen gesprochen und glaube aus diesem Gespräch, wie aus
manchem, was ich vorher gesehen und gehört habe, ein ziemlich klares Bild von der
Sachlage zu haben.
Hannah ist von Ihnen weggegangen um derselben geistigen Welt willen, die sie verlassen hatte,
um zu
Ihnen zu gehen. Es war die Berliner Sphäre, in der sie geistig und sachlich gewachsen
ist, und die sie
mit einem radikalen Willensentschluss aufgegeben hatte, die sich als die stärkere
erwiesen hat. Sie
hat als gesunder Mensch viel Ungesundes in dieser Sphäre gesehen und sie wollte heraus
und war glücklich,
einen Ort vollkommener Gesundheit und Natürlichkeit gefunden zu haben. Aber sie hatte
die Kraft der
Mächte unterschätzt, die ihr geistiges Leben geschaffen haben; und sie hat als Mensch
mit leidenschaftlich
geistigem Willen und dichterischer Produktivität die Konsequenz daraus gezogen. –
Über die persönliche
Seite habe ich natürlich nicht das Recht, irgendetwas zu sagen; ich kann Ihnen nur
mitteilen, daß ich
an Hannah immer zugleich den Ausdruck großer Liebe für Sie und des Schmerzes gehört habe, von
ihrem
geistigen Eigenleben ausgeschlossen zu sein. Unter diesem Zwiespalt hat sie so tief
gelitten, daß sie
ihm schließlich durch ihren außerordentlich schwer wiegenden Entschluß ein Ende gemacht
hat. Ich glaube
kaum, daß die Tatsache ihres gegenwärtigen körperlichen Zustandes dabei von erheblicher
Bedeutung |
ist. – Das ist der Eindruck eines Beobachters, der sowohl durch eigene Schicksale,
wie
auch durch seine Arbeit sich gewöhnt hat, diese Dinge objektiv zu sehen. – Meine persönliche
Stellung
dazu ist nun die, und ich habe sie Hannah gegenüber sehr energisch zum Ausdruck gebracht: Sie hätte
versuchen müssen, beide Seiten zu vereinigen. Und dazu hätten beide Teile Opfer bringen
müssen. Sie
meint, das wäre eine Unmöglichkeit, und selbst wenn möglich für beide Teile eine unerträgliche
Halbheit
gewesen. Ich enthalte mich auch hier, da es sich um persönliche Dinge handelt des
Urteils. Es ist möglich,
daß nach dem, was geschehen ist, auch dieser Weg nicht mehr gangbar ist. Daß er mehr hätte
versucht
werden müssen, ist mir sicher. – Was nun Ihr Verhalten betrifft, so erlaube ich mir
aus meinem eigenen
Erleben mit seinen schweren Enttäuschungen nur das eine zu sagen: Es gibt nur einen menschlichen Weg
in diesen Dingen, die volle Anerkennung der freien Persönlichkeit des Andern, in der
Erwägung, daß direkter
oder indirekter Zwang ja nie zu dem Ziel führen kann, das man erreichen will, die
freie Gemeinschaft
des Vertrauens; daß er aber unter Umständen die Erinnerung an das Vergangene trüben
kann. – Was mich
persönlich betrifft, so wissen Sie wie ich, daß auch ich in Hannahs Gedanken in die Sphäre gehöre, von
der ich am Anfang schrieb; es ist mir deswegen nicht leicht geworden, an Sie zu schreiben;
aber ich
glaube, daß Offenheit das Beste ist. Meine Einwirkung auf Hannah geht in die Richtung, die ich eben
andeutete. Wie aber auch die Entscheidung fallen mag, und so vieles ich in Hannahs Handeln nicht verstehe
und für unrichtig halte, die Freundschaft, die uns verbindet, kann dadurch nicht erschüttert
werden.
Eben darum aber wünschte ich, daß Sie wissen, was ich denke. – In den äußeren Dingen
bin ich natürlich
jederzeit zu Rat und Hilfe bereit,wenn sobald Sie es wünschen.