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den 13.01.1922

L. H.!

Heut nun in Eile die Abschrift meines Briefes an Albert. Bitte bewahre sie auf! Ich denke immer an Dich!

Dein Paul.
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Sehr verehrter Herr Gottschow!

Frl. Necke hat mir mitgeteilt, daß Sie in meiner Abwesenheit angeläutet haben, und den Wunsch äußerten, mit mir zu sprechen. Es tut mir sehr Leid, daß wir uns verfehlt haben. Denn auch ich hätte nach allem was geschehen ist, Sie gern gesprochen. Da es nun zweifelhaft ist, wann Sie einmal wieder Gelegenheit haben, nach Berlin zu kommen, ist es Ihnen vielleicht Recht, wenn ich Ihnen ein paar Worte schreibe. – Ich habe Hannah auf ihrer Durchfahrt nach Bremen gesprochen und glaube aus diesem Gespräch, wie aus manchem, was ich vorher gesehen und gehört habe, ein ziemlich klares Bild von der Sachlage zu haben. Hannah ist von Ihnen weggegangen um derselben geistigen Welt willen, die sie verlassen hatte, um zu Ihnen zu gehen. Es war die Berliner Sphäre, in der sie geistig und sachlich gewachsen ist, und die sie mit einem radikalen Willensentschluss aufgegeben hatte, die sich als die stärkere erwiesen hat. Sie hat als gesunder Mensch viel Ungesundes in dieser Sphäre gesehen und sie wollte heraus und war glücklich, einen Ort vollkommener Gesundheit und Natürlichkeit gefunden zu haben. Aber sie hatte die Kraft der Mächte unterschätzt, die ihr geistiges Leben geschaffen haben; und sie hat als Mensch mit leidenschaftlich geistigem Willen und dichterischer Produktivität die Konsequenz daraus gezogen. – Über die persönliche Seite habe ich natürlich nicht das Recht, irgendetwas zu sagen; ich kann Ihnen nur mitteilen, daß ich an Hannah immer zugleich den Ausdruck großer Liebe für Sie und des Schmerzes gehört habe, von ihrem geistigen Eigenleben ausgeschlossen zu sein. Unter diesem Zwiespalt hat sie so tief gelitten, daß sie ihm schließlich durch ihren außerordentlich schwer wiegenden Entschluß ein Ende gemacht hat. Ich glaube kaum, daß die Tatsache ihres gegenwärtigen körperlichen Zustandes dabei von erheblicher Bedeutung | ist. – Das ist der Eindruck eines Beobachters, der sowohl durch eigene Schicksale, wie auch durch seine Arbeit sich gewöhnt hat, diese Dinge objektiv zu sehen. – Meine persönliche Stellung dazu ist nun die, und ich habe sie Hannah gegenüber sehr energisch zum Ausdruck gebracht: Sie hätte versuchen müssen, beide Seiten zu vereinigen. Und dazu hätten beide Teile Opfer bringen müssen. Sie meint, das wäre eine Unmöglichkeit, und selbst wenn möglich für beide Teile eine unerträgliche Halbheit gewesen. Ich enthalte mich auch hier, da es sich um persönliche Dinge handelt des Urteils. Es ist möglich, daß nach dem, was geschehen ist, auch dieser Weg nicht mehr gangbar ist. Daß er mehr hätte versucht werden müssen, ist mir sicher. – Was nun Ihr Verhalten betrifft, so erlaube ich mir aus meinem eigenen Erleben mit seinen schweren Enttäuschungen nur das eine zu sagen: Es gibt nur einen menschlichen Weg in diesen Dingen, die volle Anerkennung der freien Persönlichkeit des Andern, in der Erwägung, daß direkter oder indirekter Zwang ja nie zu dem Ziel führen kann, das man erreichen will, die freie Gemeinschaft des Vertrauens; daß er aber unter Umständen die Erinnerung an das Vergangene trüben kann. – Was mich persönlich betrifft, so wissen Sie wie ich, daß auch ich in Hannahs Gedanken in die Sphäre gehöre, von der ich am Anfang schrieb; es ist mir deswegen nicht leicht geworden, an Sie zu schreiben; aber ich glaube, daß Offenheit das Beste ist. Meine Einwirkung auf Hannah geht in die Richtung, die ich eben andeutete. Wie aber auch die Entscheidung fallen mag, und so vieles ich in Hannahs Handeln nicht verstehe und für unrichtig halte, die Freundschaft, die uns verbindet, kann dadurch nicht erschüttert werden. Eben darum aber wünschte ich, daß Sie wissen, was ich denke. – In den äußeren Dingen bin ich natürlich jederzeit zu Rat und Hilfe bereit,wenn sobald Sie es wünschen.

Mit herzlichem Gruß!
Dr. P. Tillich.
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