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Geliebte Hannah

Hab Dank, hab vielen Dank für Deinen Brief mit all seinen Kostbarkeiten! Er traf mich im Bett, gestern Abend, und heut liege ich noch, wegen einer fiebrigen Erkältung; nun fährt Dein Schwesterchen umsonst zur Universität. Sie war entzückend, als ich von Eurem Plan erzählte und wird alles tun, um Euch nach Berlin zu bringen. Ich war eine Stunde mit ihr im Kaffee und und war so froh, in Sprache und Bewegung so manches von Dir zu finden. – Dein Brief zeigt mir, daß Dein und mein Fühlen immer miteinander gehen; in diesen Tagen dachte ich oft, daß ich wieder einmal etwas fühlen möchte von der grauenvoll-göttlichen Ekstase der letzten Jahre, und ich dachte nur an Dich als Quelle jeder künftigen Begeisterung. Wie die Glut der Madonnenliebe die Geschichte gestaltet hat, so soll die Glut unserer Liebe die Gegenwart schaffen; das war es, was ich Schöpfung nannte in meinem letzten Brief, erst an uns, dann an den anderen, denn Du hast Recht, daß nur das Sein überzeugt. – Wir hatten den Eros, | nun haben wir die Agape („Liebe" im Neuen Testament) gefunden. Wir mußten sie finden; denn ohne sie ist der Eros unheilig und führt zur Asche. Nun dürfen wir wieder Ja sagen zum Eros; aber er ist gewachsen; unsere Umarmungen haben nicht mehr bloß etwas mit uns beiden zu tun; wir umfangen in dem andern die Welt und ihre Geheimnisse, wir umfangen die Armen und Leidenden, wir umfangen das Chaos der Zeit und das Licht der ewigen Formen. Ich bin so froh, daß Du aufgewacht bist, daß der Geist der Revolution, diese meine älteste Schwungkraft, Dich gepackt hat, daß es auch Dinge gibt, die Du zerbrechen willst! Hannah, unsäglich Geliebte, Ersehnte: Schon treten die Menschen vor mich hin und sagen: Gib uns mehr Seele, mehr Ekstase, mehr ganz Großes, wie damals – – Ich muß ihre Worte weitergeben an das Schicksal, an Deine Tat, die Dich zu mir führt!

Paul.

Sorge, daß ich Weihnachten eine Adresse habe, damit ich an Dich schreiben kann!

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