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den 01.09.1920

Hannah!

Zwar habe ich seit meinem letzten Brief an Dich nichts von Dir hören können, da ich seit 8 Tagen keine Post mehr bekommen habe; heut fahre ich nach Berlin, sitze im Speisewagen und ärgere den Kellner durch Nicht-Essen und denke über meinen Vortrag nach, zu dem ich übermorgen nach München und Braunau fahre „Bildung und Masse“. Und da ich nicht weiß, wann ich wieder zum Schreiben komme – Nun habe ich vom Meer Abschied genommen, fast ganz genesen; es war das erste Mal, daß es mir etwas angetan hat und es war das Mal, das mir seine Größe am gewaltigsten offenbart hat: Ist das nicht ein Symbol unsers Daseins, daß von den letzten, tiefsten Gewalten, von dem Größten und Herrlichsten unsere Brust wund wird. – Ich habe mich in Rostock mit meinem alten Freunde dem Theologieprofessor Büchsel getroffen; es war sehr wichtig für mich. Allerhand Gerüchte über meine Ehe und Freundschaften durch| schwirren die theologischen Kreise. Das aber bedeutet Ausschluß? Ich habe richtig gestellt unter viel Schwierigkeiten und fand dann viel feines Verstehen und die Schwingungen der alten Gemeinschaft. Wo „das Heilige“ lebt, ist Gemeinschaft möglich; wo es aufhört, stirbt sie. Wie wird es mit Wegener werden? Noch glaube ich nicht, daß es aufhört; aber in diesem Glauben ist viel Angst. – Ich fürchte mich selbst davor; man hat mir gesagt, in meinem Gesicht wäre zuweilen ein Zug, scharf und doch auseinanderfallend, der nichts mit Heiligkeit zu tun hätte. Zwei sagten es mir, jeder von sich aus; es war mir eine Bußpredigt, wie das Bildnis des Dorian Gray, Hannah bewahre mich vor diesem Abgrund, der einzige, in dem ich nicht untergehen will; denn er ist Sumpf und nicht Meer – – – Du kannst es!

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