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den 01.09.1921

Liebe Hannah!

Einen langen Brief willst Du haben. Ich hoffe, inzwischen sind die beiden andern angekommen, daß Du weißt, ich denke an Dich, ich bin bei Dir! Heut will ich nur berichten, damit Du weißt, wievieles auf mir lastet. Zuerst die Arbeit. Ich soll bis zum Oktober „Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden“ vollenden; eigentlich erfordert das eine Kenntnis des gegenwärtigen Standes aller Wissenschaften. Einigermaßen geht das noch in den Kulturwissenschaften, unmöglich ist es in der Naturwissenschaft; trotzdem muß ich aus der Philosophie so viel Einfühlung haben, um über das Prinzipielle reden zu können. Da ich aber mit einer neuen Idee an das Ganze herangehe, so ist die Produktion oft qualvoll schwer. Gelingt es, so kann es ein großer Wurf sein. – – – Daneben habe ich eine dicke „Erneuerung des Strafverfahrens“ | durchgearbeitet, um es auf philosophische Grundlagen zu recensieren. Die Bibliothek Warburg wartet auf einen Artikel und 2 andere Zeitschriften sind bereit, etwas zu nehmen. Und es wäre so wichtig! – Die zweite Hauptarbeit ist die Religionsphilosophie. Ich habe 4 Typen da: Scholz, den protestantischen Theologen, Scheler, den katholischen Philosophen, Bloch, den jüdischen Mystiker, Ziegler den monistischen Ästhetiker. Ich will daraus einen Artikel über die gegenwärtige Lage der Religionsphilosophie für das „Neue Deutschland“ und einen principiellen Artikel für die Kantstudien machen; jedes der 4 Bücher hat 5–700 Seiten. Und schon drängt das schwere Semester mit der mittelalterlichen Philosophie. – Dazu kommen Verhandlungen mit Wegener; das Vorteilhafteste für mich wäre eine Anfechtung | der Ehelichkeit des Kindes: Aber dagegen wehrt er sich, weil es für ihn notorischen Ehebruch bedeutete und seine Existenz vernichten würde. Das will ich nicht; für mich aber ist das Kind eine schwere Belastung, gesellschaftlich und – wenn Dox sterben sollte, auch finanziell; ich suche nach einem Ausweg, habe aber noch keinen. Schneller wird wohl die Ehescheidung funktionieren, falls keine unvorhergesehenen Fälle eintreten. Aber lastend ist das alles. – Hier ist es unvergleichlich schön. Aber es sind dauernd viele Bekannte da. Fr. v. Sydow mit ihrer Schwester Grete Wever, Malla Jessen mit einer Freundin; man sieht sich zwar nur morgens am Strand, aber es ist doch immer lebendige Realität. Mit Frl. Stern habe ich ein sehr freundliches mehr kameradschaftliches Verhältnis. Sie versorgt mich sehr gut, | auch Mittags, da das Ausessen zu teuer ist; so wird es möglich sein, bis zum 1. Okt.ober zu bleiben. Ich bin fast ganz unerotisch, spiele am Strand und denke an meine Arbeit, und bin oft bei Dir! Es sind jetzt wieder heiße Tage, die letzten wohl im Sommer, und bald kommt der kalte, harte Winter, vor dem mir graut.

Greti steht jetzt unter dem Einfluß von Wahrsagerinnen, was mich sehr bedenklich macht. Sie hat ihr Land vorteilhaft verpachtet, aber was nun, mit Kind, und ohne Geld? – Kommt nach Berlin Hannah; und der Winter wird mir hell sein, wenn Du nur da bist.

Dein Paul.
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