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den 01.01.1920

Hannah!

Du hast meine Bitte nicht ganz verstanden: Sie kam aus der unüberwindlichen Sehnsucht, Dich vor Deiner definitiven Entscheidung noch einmal zu sehen, zu sprechen, Dir noch einmal Auge in Auge, Herz an Herz zu sagen, welche Last wir tragen müssen. Ich wollte keinen Vorwand, unter dem Du weggehst, sondern höchstens einen, unter dem Du auf ein paar Tage herkommst; ich wollte Dich nicht versuchen, sondern im Gegenteil stärken zu dem einen oder andern. Es ist so unendlich schwer, jetzt aus der Ferne mitverantwortlich zu sein für Deine Er-Lösung, deren Wesen ich so wenig durchschaue; und andrerseits würde ich es feige finden, Dir allein die Verantwortung zu überlassen: der Sinn meiner Worte war: Gib mir durch ein kurzes Kommen, Sehen, Reden, die innere Möglichkeit, ganz und klar wissend mit Dir die Verantwortung zu tragen. Du hast einmal geschrieben: Bist Du darin allein, so bist Du auch nachher allein! Darin | liegt viel Wahrheit. Und ich will Dich nicht allein lassen; ich will jetzt und nachher bei Dir sein! Gib mir die Möglichkeit in höherem Maße dazu, als es durch Briefe geschehen kann; komm noch einmal her! Ich wollte nicht, daß Du bloß den Arzt als Vorwand nimmst, sondern vor allem auch sagst, daß Du mich sehen willst. Ich dachte, daß ein solcher Entschluß ein Stück auf dem Wege der Erlösung sein könnte. Dein Brief scheint mir zu sagen, daß Du ein solches Sehen und Sprechen vorher nicht mehr willst, daß alles schon weiter ist, als ich denke. Das kann ich nicht beurteilen; aber ich muß dann mehr abseits stehen und zusehen was Du tust, und kann nur glauben, und glauben, daß es gut ist. Ich kann dann auch keinen Termin stellen, es sei denn den Tag, wo ich mit Leib und Seele zusammenbreche. Der Termin bezieht sich auf das Vorher-Kommen, nicht auf das definitive Entscheiden. So stelle ich es Dir denn anheim: Willst Du noch einmal vorher kommen, so bleibt der Termin (spätestens d. 5te Dez.) bestehen. – Hast Du die völlige Klarheit, ohne das zu gehen, so sieh nur zu, daß es nicht länger dauert, als menschliche Kraft tragen kann! – Die Worte Deines zweiten Briefes beseligen mich; jeder Blutstropfen antwortet in mir. Aber ich darf jetzt nichts davon wissen in der Härte dieses Leides.

Dein Paul

Es ist ein Brief da von Trudchen Horn, worin sie ihre Bereitschaft ausdrückt, Dich aufzunehmen; aber vom Standpunkt des Kindes und Deiner gegenwärtigen Mutterschaft noch einmal alle Bedenken erhebt, die ich Dir damals schrieb.

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