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den 01.11.1921

Hannah!

Es wird mir physisch schwer, zu schreiben; denn Deine Briefe und meine Gedanken, und gestern Abend ein langes Gespräch mit M.arie L.uise, die ich in meiner Not durch Rohrpostkarte hergebeten hatte, und die Bewegung all der Dinge im Unterbewußtsein Tag und Nacht – – all das hat fast meine Kraft zu einem Brief gebrochen. So mag er ruhig und sachlich sein; denn den andern Stimmen darf ich jetzt kein Gehör schenken, sonst zerbreche ich. Ich will einiges sagen, was Dir zur Klarheit über mich helfen kann. Zunächst ein Äußerliches: Du scheinst aus irgend welchen Berichten herausgelesen zu haben, daß ich mir Geld-Sorgen mache, und daß Du mich in dieser Richtung belasten würdest, wenn Du kämst. Diesen Gedanken laß bitte völlig weg; er spielt weder in meinem Denken, noch in meinem Fühlen irgend eine Rolle; ich würde auch faktisch leicht Mittel und Wege finden. Dieses kommt nicht in Betracht, ein für alle Male! – – – Einen anderen Gedanken schreibst | Du in Deinem heutigen Brief: Daß Dir in visionärer Deutlichkeit meine Abwendung vom Leben überhaupt, mein Mönchswille erschienen sei! Das war eine Vision Deines unterbewußten Wünschens, aber nicht der Wirklichkeit. Ich will und kann nicht Mönch sein, weil meine Mystik nicht die der Lebensnegation, des abstrakten, Supranaturalen, sondern weil sie Lebensmystik ist; weil meine Kräfte geschöpft werden aus den Abgründen der konkreten Ekstase; weil die Erotik für mich Offenbarungssphäre ist. Gehst Du von mir, so suche ich weiter, allerdings in dem Bewußtsein, das nie wieder zu finden, und einen gedämpften Kompromiß zu erhalten. Das bedeutete mein Satz vom letzten Brief, daß mein Leben (im tiefsten Punkt des personalen Lebens) zerstört ist. Und darin hast Du Recht: Laß ich Dich, so sinke ich; denn es fehlt dann die unendliche Spannung der unbedingten Liebe. Ich muß dann versuchen, sie im Abstrakten zu finden, wenn sie nicht irgendwann einmal als spätes Geschenk mir in den Schoß fällt – – – aber daran glaube ich nicht – – – Ich habe seit einem Jahr mit | unerschütterter, gleich bleibender Klarheit die Stellung unbedingter Bereitschaft für Dich eigenommen. Du hast im Grunde immer mehr gewollt. Du hast gewollt, daß ich um Dich kämpfe, Dich rufe u.s.w. Ich habe statt dessen gesagt: Bleib‘ Du, wenn Du kannst! Und dieses ist der einzige, feste Punkt in mir, in dem Gefühl und Verstand gleich sicher sind: Ich gehe nicht einen Schritt breit weiter! Ich bleibe und warte bis zu Deiner Entscheidung. Du bist von mir weggegangen, nicht nur äußerlich; Du hast Dich innerlich ganz tief in Deine neue Lage hineingefunden; so weit, daß Du zum zweiten Male die Möglichkeit eines Kindes zulassen konntest! Gewiß es gibt kein empirisches Hindernis, wo Schicksalsnotwendigkeit gefühlt wird; aber es ist ein Zeichen, daß das Schicksalsgefühl schwach ist, wenn die empirischen Hindernisse gehäuft werden. Nur darum sagte ich Dir: Leb wohl!, weil ich nun Dein „Muß“ nicht mehr sah, darauf aber kommt es an: Ob Du mußt, ob Du nicht anders kannst. Du hast in all den Dingen keine Klarheit, keinen sicheren | Willen gezeigt; Ekstase und Verzagtheit wechselten in Dir; ich kann aber nur ruhig in die Zukunft sehen, wenn Du klar und unerschütterlich bist. Ich kann nicht die Verantwortung für mich und Dich tragen, was die innere Stellung anbetrifft. Ich garantiere für mich und ich garantiere für das Äußere; aber ich kann nicht auch Dein Herz und Dein Wille sein und am allerwenigsten jetzt, wo durch das Kind die Sache tausendfach erschwert ist für Dich. – – – Es kommt also einzig und allein auf Deine Entscheidung an. Diese hat zwei Möglichkeiten, daß wir uns nicht verlieren: die eine klare, daß Du das alte Band zerschneidest und kommst; die andere aufschiebende, daß Du das alte Band lockerst und Dir die Freiheit erkämpfst, geistig und räumlich so viel mit mir zu sein, wie Du willst. Das ist ein Provisorium; denn es wird eines Tages sich doch nach einer Seite hin entscheiden. Darauf hatte ich nach Zehlendorf gehofft; statt dessen hast Du das Band zehnfach verstärkt. Der zweite Weg hat den Vorzug, daß wir einmal wieder längere Zeit zusammen sind, und unsere Lebensmöglichkeit aus | dem halben Phantasiebild der Ferne zu der festen Wirklichkeit der Nähe wird, und da vielleicht anders aussieht. Er hat weiter den Vorzug, daß Du überhaupt einmal in Eurem Verhältnis Du bist; aber fast ist es schon zu viel, wenn ich das sage; denn Du und nur Du hast zu entscheiden. – – – Ich mache Dir aber nach Beratung mit M.arie L.uise einen konkreten Vorschlag: Geh auf ein bis zwei Monate nach München zu Mina Heß! Sie wird Dich verstehen, und Du bist dort auf neutralem Boden und behältst die Zügel in der Hand. Du kannst Dich auf Mutterschaftslaunen gegen Albert berufen. Du kannst dort ruhig werden für Dich, für Dein Kind, für Deine Zukunft. So wie die Dinge jetzt liegen, geht es nicht weiter. Du ruinierst Dich, Dein Kind, und mich! – – Und wenn Du dann in völlige Hörigkeit zu A.lbert zurückkehrst, oder in völlige Freiheit, oder von ihm weg gehst, so will ich diese Entscheidung anerkennen und will im | ersten Fall mit Schmerz, aber ohne Bitterkeit von Dir Abschied nehmen, im zweiten Fall einen Weg suchen, der uns Dreien genügt, wenn auch Verzicht auf allen Seiten nötig ist; im dritten Fall will ich alle meine seelischen und physischen Kräfte zusammenraffen und alles in Dir und durch Dich sein. – Eines aber geht nun nicht mehr, daß Du dort bist wie bisher und durch den entfliehenden Gedanken Dich zermürben läßt. Ich mache jetzt alles von dieser Deiner Tat abhängig. Sie ist auch ganz unabhängig von dem vielleicht noch ewig dauernden Kommen nach Berlin. – – – Falls München absolut unmöglich ist, so suche einen andern Ort; Bremen, Dölzig stehen Dir offen, vielleicht auch Marburg. Das mußt Du wissen. Ich bitte Dich, Hannah, laß jetzt Großes nicht durch Kleines zu Schanden werden! Überwinde die verhältnismäßig geringen Schwierigkeiten. Und dann noch einmal: Tu was Du mußt, und nur was Du mußt; ich bin bei Dir in jeder Entscheidung, die eine Tat ist.

Ich bin bei Dir mit ganzer Seele!
Dein Paul.
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