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den 01.08.1921

Liebe geliebte Hannah!

Du scheinst meinen Brief, den Dir M. L.Marie Luise mitnehmen sollte, noch nicht zu haben. So habe ich nach langem Schweigen nur ein paar Worte von Dir, in denen Du eine nunmehr längst verstorbene Pointe so lange trittts, bis sie noch ein paar Quetschtöne von sich gibt. Na hör aber auf! Sonst ist es weder schön, noch klug, noch pikant! – Ich schrieb Dir einen müden, sehr müden Brief; seitdem hat es sich wesentlich gebessert. Die Erholung wirkt nach. Aber die Wurzeln der Elendigkeit bleiben, und jedesmal, wenn der Körper nicht ganz auf der Höhe ist, drängt sich alles ans Tageslicht, was an schweren Lasten im Innern ruht. Die neuerliche Teuerung bringt auch äußere Sorgen; ich weiß trotz aller Arbeit wirklich nicht mehr, wovon ich eigentlich leben soll. Im Unbewußten bahnt sich eine Sehnsucht an nach Bürger-Glück, eine feste Stellung, eine Frau, etwas Ehre, vielleicht ein Kind. Und die Idee einer „reichen Frau“ frißt halb ironisch, halb ernsthaft an dem großen Schwung der Seele. Du aber bist fern, die Du helfen könntest! Und würdest Du | helfen können? Würdest Du nicht mit Ansprüchen an mich herantreten, mit berechtigten Ansprüchen, die ich nicht erfüllen könnte? Kannst Du mütterlich sein, kannst Du des andern Lasten tragen, kannst Du es ertragen, wenn der Geist des andern weit von Dir weg fliegt, nicht zu Blumen und Schmetterlingen, sondern zu den Schatten der Gruften und Ratten? Ach Hannah! Meine Hand zittert fast, meine Finger kann ich kaum halten, wenn ich denke, daß Du weg bist, und nicht kommen kannst, und die Wogen meiner Seele hinbrausen – und sich brechen, ohne daß Du in ihnen bist, ohne daß sie zu Deinen Füßen Ruhe finden. Fast möchte ich sagen: Was hältst Du meine Seele hin, was zwingst Du sie zum mürbenden Warten! Hannah; ich warte bis zur Entscheidung über Eure Zukunft; dann sage ich: Komm oder geh´ für immer! – Wenn die Gerichte funktionieren, werde ich im November von Greti, dann von dem Kind frei. Dann muß der Augenblick kommen, wo auch Du frei bist, für oder gegen mich! – Ich fahre am 18.ten nach Berlin zurück und schicke dann Bild und Gedichte, die ich eingeschlossen und darum mitzunehmen vergessen hatte.

In tausend Schmerzen!
Dein Paul.
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