Oh Hannah!
Hannah! Was hast Du mir getan, daß Du meine eben gewonnene Ruhe in wildes Toben des
Blutes verwandeltest? Warum bist Du Feindin geworden meiner Sehnsucht nach stillem
Kraftsammeln, nach Klarheit und Sieg? Warum bin ich anders seit jenem Vormittag, wo
der rasende Strom des Lebens durch unsern Leib tobte? Zwar am Tage darauf war ich
elend wie ein Verworfener des Daseins, leer, todessüchtig, durchschmerzt, bis das
Wort meines Vortrags mich erlöste; nun aber ist in mir wilde Kraft, nicht zu Vielheit
der Ekstasen, sondern zu geschlossener starker herrschgewaltiger Tat. Ich will nichts
Halbes mehr dulden in mir und um mich, keine halben Askesen und keine halben Seligkeiten,
keine Doppelziele und Siebentelgefühle. Gestern war ich bei meiner Frau, und als sie
mich streichelte, sagte ich ihr: Heut leide ich zum ersten Mal, daß dieses nicht eine
andere Hand ist. – – – sonst war Deine Erotik mir stärker, jetzt bist Du auch darin
besiegt von der, die ich liebe! Ja, Du, täglich schreit |
jetzt mein Leib nach dem Deinen mit nie geahnter qualvoller Inbrunst. Jede Frau lockt
mich, peinigt mich, und keine mag ich, weil jede Frau ist, wie Du und keine Du ist!
Und wenn ich siegen will und Ruhe schaffen, dann kommen Deine Briefe, die wie ein
Orkan durch mich hindurchtoben und jeden Blutstropfen zittern lassen. – Ich habe unsere
Waffenrüstung gemessen zu dem Kampf, den mir anzusagen ich Dich gezwungen habe, und
ich fand, daß Deine reicher ist an blitzenden Schwertern und klingendem Spiel und
Ungestüm des Angriffs; Deine Waffe ist das Leben, Dein gewaltiges, herrliches Leben,
mit Engels- und Dämonenkräften. Meines Lebens Puls ist langsamer, kühler, ärmer; und
doch bin ich stärker, denn ich habe eine Waffe, die Du noch nicht kennst und die Du
nicht haben kannst; die ich Dir aber, wie es unter Edlen Pflicht ist, nennen will:
Ich war im Lande des Todes! Ich habe |
nie bisher davon zu Dir gesprochen; man spricht nicht gerne davon, zumal ich hundert
mal erfahren habe, daß selbst die Voraussetzungen des Verstehens bei den besten und
tiefsten Menschen fehlen. Nur dies will ich Dir sagen, daß ich drei Jahre lang innerlich
abgeschieden und mit dem Tode, der mich täglich umgab, in Zittern und Grauen und oft
in Sehnsucht, eins geworden war; daß durch Leben und Liebe, durch Geist und Natur ein blutender
Riß ging, der mich lostrennte vom Leben, und mich darum trotz meiner Lebensschwächen
zum Lebenssieger machte. Davon kann ich Dir mehr nur sagen in einsamer Stunde, wenn
Du an meinem Herzen liegst. Wenn Dein wildes Leben mir dieses, mein dunkles, unscheinbares,
aber alles, alles zerschneidendes Schwert aus der Hand schlägt, dann binde mich und
wirf mich weg und töte mich dazu; aber ich weiß, Du wirst es nicht! Denn ich habe
meinen Gott selbst damit erschlagen und einen neuen geboren. Und wenn |
ich von meiner Ruhe in Gott sprach, so taste sie nicht an; denn in ihr ist aufgehoben
die Majestät des Todes! Wenn Leben und Tod miteinander ringen, so siegt immer das
Leben; wenn aber das Leben den Tod in sich nimmt, welches Leben ist ihm dann gewachsen?
Ich rede nicht von den Ekstasen des Abgrundes, sondern von dem einfachen schlichten
absoluten Ernst des Nichtseins. Ich rede nicht um Dich zu schrecken, sondern um Dich
mir zu offenbaren, damit Du Deinen Feind erkennst!
Hannah, ich liebe Dich mit einer übermenschlichen fast grauenvollen Liebe. Ich habe
gestern die Bände George gekauft, die mir noch fehlen, und arbeite schon an ihm, weil
Dein Brief mir zeigte, daß er ein Zugang zu Deinem Geist ist, der mir noch in vielem
verborgen ist. Ich war bei Nora M. [Mengelberg] und habe mit ihr gerungen und will weiter mit ihr ringen, weil sie Dich liebt. Du
mußt bald kommen, für immer kommen; die Qual der Halbheit Deines Lebens – oder der
Doppelheit – ist nicht gut fürEuch uns alle, auch nicht für ihn! Setze keine Termine, folge Deinem Engel, wenn er Dich
gewiß macht. Sei stark um der Wahrheit willen!