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Frankfurt, den 20. Juni 1933

Sehr geehrter Herr Professor,

Frl. von Nida und ich danken Ihnen für Ihren Gruss, den wir herzlich erwidern. Zugleich möchte ich versuchen, Ihnen Antwort zu geben und von Bewegung und Gestaltung an der hiesigen Universität zu erzählen, soweit ich sie miterlebe oder zur Kenntnis nehmen kann. Denn ich bin noch outsider und werde es auch bleiben, obwohl ich längst eingesehen habe, dass viele Bestrebungen der neuen Bewegung durchaus zu begrüssen sind und den eigenen Einsatz erfordern.

Von einer neuen Struktur von Universität kann noch nicht die Rede sein. Alles ist noch in Wandlung. Das Ganze ist aufgelockert und bereit. Es ist vielleicht gerade an dem Punkte angelangt, an dem noch alles daraus werden könnte. Die absolute Gegensätzlichkeit der Haltungen, die Anfeindungen und direkten Verletzungen haben aufgehört, nicht ohne ein grösseres Wachsein und eine ziemliche Regsamkeit bewirkt zu haben und die Gegner scheinen bereit, einen ersten Schritt zu wechselseitiger Verständigung zu unternehmen.

Die Träger der neuen Bewegung haben schon viel Zugeständnisse gemacht, beinahe will es einem scheinen, zu viel – es ist ein entscheidendes Stadium augenblicklich, und man bangt fast die neue Gestaltung möchte nicht gelingen – es möchte zurückfallen und fast unbefruchtet weitergehen. Denn die guten Kräfte im braunen Lager haben es sehr schwer – von ihrer eigenen Aufgabe aus gesehen, als auch gegenüber ihren Gegnern. Die letzteren sind ihnen überlegen an Zahl als auch an intellektueller Schulung, sie haben es leicht und machen es sich leicht, und mir scheint mehr und mehr, dass jene Recht haben, diese aber letztlich siegen werden.

Den äusseren Sieg hat ja die Bewegung, aber sie hat ihn zu leicht gewonnen und muss viel dabei verlieren und anscheinend leider das, was man bejahen muss – doch sind das noch Vermutungen und Befürchtungen, ich will lieber von dem schreiben, was ist.

Vorträge und Diskussionen überfluten die Universität – von den "Zellen" aus werden sie veranstaltet – und "Pflicht" (ein häufig gebrauchtes Wort) und Intresse führen die verschiedenen Kreise, Studenten und Dozenten täglich zur Aussprache in grösseren oder kleineren Kreisen zusammen. In "engerem" Kreise der Nationalsozialisten (nach einem Vortrage O. Spanns) und in weiterem der Studentenschaft der "germanistischen Zelle" bin ich dabeigewesen und erlebte, wie in dem ersteren Falle in den eigenen Reihen der Partei Stimmung und Meinung ist. Es ist dort keinerlei Richtung festgelegt, sondern gegensätzliches Wollen brach auf, die Meinungen gingen durcheinander, gegeneinander und doch auch wieder miteinander. Man sprach zum ersten Male (nach einer ausdrücklichen Aufforderung dazu!) die Dinge wieder offen aus, man verhielt sich selbstkritisch und machte die ersten Ansätze zu einer Klärung. Es fielen schon einmal wieder Worte von eigener Forderung, Gestaltung, sogar "Objektivität", "Geist" ect. im positiven Sinne und man besann sich darauf, dass man handeln müsse und dass das fortwährende "Schimpfen auf die Roten" (O. Spann) keinerlei Sinn habe und abzulehnen sei. Man sprach auch sonst offen gegeneinander, doch kann ich das hier nicht wiedergeben. Im ganzen verlief die Aussprache für den genügsam gewordenen Zuschauer ziemlich befriedigend – bis auf einige phantastische Anschauungen von Rückkehr zu einem mittelalterlichen Lebensstandard. Doch wiesen die "Jungen" – die "moderne Generation" solche Forderungen erfreulicherweise energisch und heftig zurück.

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Bei der Aussprache im germanischen Seminar über "germanistische Wissenschaft im neuen Staat", an der auch Prof. Schultz, Prof. Schwietering ect. teilnahmen, stellte sich zu meiner Ueberraschung heraus, dass nur eine ganz kleine Schar – eigentlich nur vier Studenten – die Anschauung der Partei vertreten, alle anderen aber laut und leise, offen und verhalten heftig protestieren. Leider fast blindwütig und nicht ganz in dem Sinne, den man wünschen möchte.

Die Vorlesungen gehen – wie ich mir erzählen liess – im ganzen ihren mehr oder weniger sachlichen Gang. Nur die erste Vorlesung von Prof. Reinhardt kürzlich soll aufregend gewesen sein, da er eine ganze Stunde lange seinem inneren Widerstreben Luft gemacht habe.

In Punkto Wehrsport beginnt die Studentenschaft, höhere Ansprüche zu stellen und verlangt nach anderen Führern – überhaupt der Ruf nach Führern!! Und das Fehlen derselben! In den ersten 4 Wochen versuchte man durchaus eine Karikatur des früheren preussischen Kasernenhoftons einzuführen und zog die ganze Sache unverantwortlich, unernst und prahlerisch auf, jetzt scheint es etwas besser werden zu wollen dort. – –

Die graue Festung, das Institut für Sozialforschung hält die Studentensch. bezw. NSDStudenten.Bund. besetzt, ich war kürzlich drüben, um mit einem der Führer zu verhandeln, stiess jedoch auf "eisernen" Widerstand. Man hat Angst, dass man zuviel zurückweicht, und ist deswegen gewillt, nichts zuzugeben, obgleich man innerlich schon allerlei zugesteht – den Eindruck hatte ich. Man hat nichts dagegen, ja man wünschte sogar, dass Ihre Schriften von jedem Studenten gelesen und gekannt würden, aber im übrigen –––! von seinem Standpunkt aus schien mir dieser Führer sogar Recht zu haben, was ich ihm freilich keineswegs merken liess.

Auch in Einzelgesprächen taucht Ihr Name immer wieder auf – jetzt frei von Klatsch und Erregung – dafür von bestimmten Studenten und Studentinnen mit grösserer Vorsicht gebraucht, sogar manchmal mit einem für die betreffenden Menschen peinlichen Anflug von Distanzierung. Dies gilt freilich für keinen aus dem engeren Kreis, und sonst auch nur für wenige. Frl. von Nida klagt mir immer ihr Leid über diese Wenigen, die gar keinen Grund zu solcher Stellungnahme hätten.

Die Vorlesungen Ihres Vertreters erscheinen verwöhnten Zuhörern etwas primitiv. In seiner Kantauffassung zeigt er sich völlig unberührt von neuerer philosophischer Orientierung. Heideggers Kantinterpretation wird überhaupt nicht in Erwägung gezogen – und Zeitbegriff und Kategoriensystem Kants werden als solche sanktioniert. Die Vorlesungen, die ich jetzt natürlich nicht mehr besuche, waren infolge solcher und ähnlicher anderer Stellungnahmen nicht anregend, sondern aufregend. – Auch im übrigen wird für meine Fächer wenig geboten. Man hat Zeit, für sich zu arbeiten, wenn auch ohne Beschwingung, mehr, weil man sich irgendwie betätigen muss und weil vielleicht irgendwann irgendeine Sicht wieder entstehen könnte oder überhaupt auftauchen könnte. Man hat Zeit, mehr als man sich jemals wünschte, und man streut sie aus und lässt sie verinnen. Es geht einem ganz gut dabei. Den Schluss, der einem vom finanziellen aus ev bald gesteckt werden wird und muss, wartet man ab und was dann kommt, wird sich wohl auch finden. Bis Weihnachten wird es jedoch wahrscheinlich noch so weiter gehen – Zeit für eine Leistung bis dahin hätte man, leider nicht die Kraft.

Herzliche Grüße

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    • Heidegger, Martin, Kant und das Problem der Metaphysik, Bonn 1929.