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Ffm. d. 15. April 1933
Melibocustr. 32

Sehr verehrter Herr Prof. Tillich,

in den letzten Wochen habe ich oft Ihrer gedacht, immer in der leisen Hoffnung, dass auch das neue Regime einsieht, dass man in Deutschland nicht viele solcher Kräfte wie die Ihrer an den Hochschulen aufzuweisen hat – aber solche Erwägungen sind ja im Lande der Dichter + Denker abwegig geworden. – Das Wort vom geteilten Leid ist falsch, wie so viele solcher Weisheiten, ich finde, das Wissen um das schwere Schicksal aller der Menschen, die man liebt oder schätzt, vergrössert nur das eigene Gefühl des Leides + der Trauer.

Manchmal meine ich, dass ich mein ganzes bisheriges Leben in einer schönen Illusion verbracht habe + dass es dieses Deutschland, das ich so liebte + das ich als meine Heimat empfand, garnicht gibt, wenn ich dann aber an Menschen wie Sie, sehr verehrter Professor, denke, dann weiss ich wieder, dass dieses deutsche Menschentum, das so reich an wirklicher Kultur ist, doch besteht, + dass ich mir kein| Fantom zum Vorbild genommen hatte, + das gibt einen kleinen Trost in der verzweifelten Stimmung. Dass ich über das plötzliche Ende meiner gerade erst etwas intensiver begonnenen philosophischen Arbeit auch sehr deprimiert bin, können Sie sich denken. Von ganz allein mit Erfolg, d. h. dass ich vorwärts komme, zu arbeiten, war ich erstens noch nicht weit genug + fehlt es mir naturgemäss jetzt auch an innerer Ruhe. Aber das ist ja nur einer der vielen Gründe – wenn auch in meinem ganz persönlichen Dasein ein sehr wesentlicher, da mir die Arbeit wirklich mehr war als blosse Laune – die einen so beelenden + das Dasein nicht mehr als eines der höchsten Güter erscheinen lassen.

Trotz allem aber hoffe ich doch, obgleich Sie hier so jäh aus Ihrer Tätigkeit gerissen wurden, dass Ihnen, sehr geehrter Herr Professor, das Leben noch viele Möglichkeiten bieten wird. Mit diesem aufrichtigen Wunsch grüsse ich Sie + Ihre Frau Gemahlin!

Ihre ergebene
    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    • Tillich, Paul (Theologe; Religionsphilosoph; Pfarrer;)
    • Adler, Ada (Dänische Klassische Philologin und Bibliothekarin)

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