|
d. 22. 5. 32

Sehr geehrter Herr Siebeck!

Kurz nach unserer Unterhaltung in der Universität kam beiliegender Brief an mich. Der unten angekündigte Vertreter hat mich nicht erreicht. Ich habe infolgedessen noch keinerlei Verhandlungen mit Volckmar angeknüpft, und ich bitte Sie, mich in dieser Angelegenheit zu beraten. Wie ich Ihnen schon sagte, wäre es mir am liebsten, wenn Sie die Bestände (evtl. auch die noch vorhandenen Verträge) übernehmen würden. Jedenfalls möchte ich, ehe ich Volckmar antworte, Ihre Stellungnahme kennen. Da der Brief schon etwas länger bei mir liegt, wäre ich Ihnen für eine schnelle Antwort dankbar.

Mit bestem Gruss
Ihr sehr ergebener 1]

Sehr geehrter Herr Professor!

Ich darf wohl voraussetzen, dass Sie über die bedauerlichen Verhältnisse unterrichtet sind, in die der Verlag Otto Reichl, Darmstadt geraten ist, und dass Ihnen auch bekannt ist, dass meine Firma (als buchhändlerischer Kommissionär des Reichl-Verlages) und die Spamer'sche Buchdruckerei in Leipzig (als hauptsächliche Herstellungsfirma des Reichl-Verlages) seit vielen Jahren grosse Geldgeber des Reichl'schen Verlages gewesen sind. Wenngleich Spamer und ich die Rückentwicklung des Reichl'schen Verlages seit Jahren mit grosser Sorge beobachtet und wenngleich wir oft unsere warnenden Stimmen erhoben haben, haben wir in ständiger Rücksichtnahme auf den Reichl-Verlag, auf Herrn Reichl und seine Familie lange Jahre – wie sich jetzt zeigt, leider viel zu lange – mit den von uns gewähren Krediten stillgehalten. Diese jahrelange Rücksichtnahme hat zu einer erheblichen Vermehrung unserer Verluste geführt. Da aber der Reichl-Verlag trotz solchen jahrelangen Zuwartens nicht in der Lage war, seinen uns gegenüber eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen, blieb uns schliesslich, zumal Herr Reichl keinerlei durchgreifende Massnahmen traf, die Lage seines Verlages zu wandeln, nichts anderes übrig, als die bei uns lagernden Reichl'schen Verlagsvorräte in unser Eigentum zu überführen. Herr Reichl trat unentwegt mit neuen Kreditgesuchen an uns heran, die wir abschlägig bescheiden musste, da wir ja entscheidenden Wert auf eine Senkung der von uns gewährten Kredite legen mussten, keinesfalls aber ein weiteres Anschwellen dieser Kredite zulassen konnten.

So haben wir, und zwar im Wege der Zwangsversteigerung, auch das Eigentum an den Vorräten Ihrer Werke erworben, wobei es sich um zum Teil noch sehr bedeutende Vorräte zu folgenden Werken aus Ihrer Feder handelt:

Kairos I
Protestantismus als Kritik und Gestaltung (Kairos II).

Ich denke, dass es nun ebenso in Ihrem wie in meinem Interesse liegt, dass wir uns darüber zu verständigen suchen, inwelcher Weise künftig der Vertrieb dieser Vorräte erfolgen soll. Da ich mich intern mit Spamer darüber verständigt habe, dass solche Massnahmen weit besser meiner im weitesten Sinne buchhändlerisch und verlegerisch tätigen Firma, als von dieser rein herstellungsmässig tätigen Firma ausgehen können, darf ich Sie im Einverständnis mit Spamer bitten, diese Frage nur mit mir behandeln zu wollen.

Meiner Ansicht gibt es nur zwei Methoden, nach denen eine für den beiderseitigen Interessen gerecht werdende Regelung angestrebt werden müsste.

1. Ich könnte die gesamten Vorräte Ihrer Werke zu noch zu vereinbarenden Bedingungen an einen von Ihnen zu benennenden Verlag verkaufen, mit dem Sie sich hinsichtlich der Herausgabe weiterer Werke zu verständigen wünschen und der zugleich auch für den weiteren Vertrieb Ihrer bisher bei Reichl erschienen Werke tätig werden müsste. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob Sie vielleicht schon diesbezügliche Verhandlungen aufgenommen haben, oder aber ausser zum Reichl-Verlag bereits noch anderweitige verlegerische Beziehung haben, die Sie nun auf diese Weise zu erweitern wünschen. Sicher ist aber wohl in Ihrem Interesse der Gedanke richtig, dass Sie neue Vereinbarungen mit einem neuen Verleger davon abhängig machen sollten, dass sich ein solcher neuer Verleger mit mir hinsichtlich der Uebernahme der bei mir vorhandenen Bestände Ihrer bisher bei Reichl erschienenen Werke verständigt, da es ja für Sie als Autor von ausschlaggebender Wichtigkeit ist, dass auf diese Weise der pflegliche und reguläre Weitervertrieb der bisher von Ihnen bei Reichl veröffentlichten Werke gewährleistet ist.

Ob aber eine solche Verständigung unter den heutigen, wie Sie ja wissen, denkbar ungünstigen Wirtschaftsverhältnissen möglich ist, steht nach den bisherigen Erfahrungen sehr dahin.

2. Ich könnte selbst durch einen mir nahestehenden Verlag, z. B. eine meiner mit dem Namen K. F. Koehler verbundenen Konzernfirma (s. die Ihnen gleichzeitig zugehende Firmenbroschüre des Koehler-Volckmar Konzerns), den Weitervertrieb Ihrer von mir erworbenen Werke übernehmen lassen. Hierbei möchte ich es ganz Ihrer Entschliessung überlassen, ob wir uns zunächst bewusst darauf beschränken wollen, lediglich eine Verständigung für den Weitervertrieb der vorhandenen Bestände zu suchen, oder ob Sie etwa den Wunsch haben, sich gleichzeitig auch mit der in Betracht kommenden Verlagsabteilung meines Konzerns darüber zu verständigen, ob und zu welchen Bedingungen diese neue Werke aus Ihrer Feder verlegen wird. Sollten Sie den Wunsch haben, unsere Verhandlungen gleich jetzt auf diesen Fragenkomplex auszudehnen, so würden Sie mich hierzu gegebenenfalls gern bereit finden. Ich betone aber ausdrücklich, dass ich es nicht für erforderlich halte, diese Frage jetzt mit der relativ einfachen Frage des Weitervertriebs der vorhandenen Bestände zu verkoppeln, da ich mehr davon ausgehe, dass sich aus letzterem ein Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen und mir entwickeln sollte, aus dem sich dann alles Weitere voraussichtlich von selbst ergeben wird.

Für den Weitervertrieb Ihrer bei mir vorhandenen Werke erscheint es mir aus praktischen Gründen erforderlich, dass wir uns grundsätzlich darüber verständigen müssten, dass ich die meiner Ueberzeugung nach teilweise überhöhten und nicht mehr zeitgemässen Ladenpreise des Reichl’schen Verlages der Marktlage und Kaufkraft entsprechend festsetzen kann. Was mein Verhältnis zu Ihnen anbetreffen würde, so bin ich der Ansicht, mich in materieller Hinsicht mit Ihnen in der Weise verständigen zu können, dass ich Ihnen einen noch zwischen uns zu vereinbarenden Prozentsatz vom jeweiligen Gesamterlös der dann künftig durch eine meiner Verlagsabteilungen zu tätigenden Auslieferung zusagen könnte, über dessen Höhe wir uns im einzelnen gewiss verständigen würden. Abrechnung würde zweckmässig wohl jeweils am Schluss eines Kalenderquartals zwischen uns erfolgen.

Bitte haben Sie die Freundlichkeit, mir darzulegen, wie Sie sich den weiteren Vertrieb Ihrer bei mir in Leipzig lagernden Verlagswerke gedacht haben; denn mit dem derzeitigen Zustand einer gewissen Erstarrung ist ja beiden Teilen in keiner Weise gedient. Für mich ist es also zunächst von besonderer Wichtigkeit, von Ihnen zu hören, ob und mit welchem Verlag Sie vielleicht Pläne verfolgen wie ich sie mir unter 1.) zu schildern erlaubte, oder ob Ihnen meine Anregung lt. 2.) im Prinzip wünschenswert und annehmbar erscheint. Letzteren Falles würde ich mir erlauben, Ihnen einen präzischen Vorschlag zu unterbreiten, Mir würde es jedenfalls im beiderseitigen Interesse erfreulich erscheinen, wenn sich auf diese Weise ein Weg finden lassen würde, um dem Sortimentsbuchhandel und den an Ihren Werken interessierten Publikumskreisen wieder fortlaufend Ihre bisher bei Reichl erschienenen Verlagswerke anbieten zu können.

Um Ihnen einen Einblick in die Grösse und Verschiedenartigkeit meines Betriebes zu vermitteln, gestatte ich mir, Ihnen per Kreuzband eine kleine Firmenbroschüre zu übersenden, aus der Sie alles Nähre über meine Firma ersehen wollen.

Mit den besten Empfehlungen
Ihr sehr ergebener
F. Volckmar
Kommissionsgeschäft
gez. Frentzel gez. Dr. Starkloff

P. S. Der mitunterzeichnete Mitinhaber m. Firma Dr. Frentzel wird voraussichtlich Dienstag, 17. Mai in Frankfurt a.M. sein und wird sich erlauben, Sie in den Nachmittagsstunden anzurufen oder zu besuchen.

    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    Orte:

    Literatur:

    • Tillich, Paul (hg.): Kairos. 2ter Band: Protestantismus als Kritik und Gestaltung, Darmstadt Otto Reichl Verlag 1929 
    • Tillich, Paul (Hg.): Kairos. 1ter Band: Zur Geisteslage und Geisteswendung, Darmstadt Otto Reichl Verlag 1926