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Leipzig den 9. Mai 1929

Mein verehrter Lehrer!

Da ich ihn nicht in der Welt umherirren lassen wollte, schreibe ich heute erst einen Brief, der geschrieben werden sollte als ich in Davos erfuhr, dass Sie den Frankfurter Ruf endgültig angenommen hatten.

Ich erinnere mich, als ich mich in Leipzig von Ihnen verabschiedete, die Nachricht von Ihrem Weggang allein mit einer selbstsüchtigen Klage beantwortet zu haben anstatt mit dem Glückwunsch zu der Erweiterung Ihrer Arbeit.

Ich hätte dieses "Vergehen" aber nicht gutgemacht wenn ich nicht gewünscht hätte einmal vor Ihnen den Namen auszusprechen der an der Spitze dieses Briefes steht.

Ich weiß, daß Sie dieser Kategorie skeptisch gegenüberstehen – und vielleicht bin ich zu sehr Ihr "Schüler" um es nicht auch zu tun. Aber es ist – ich weiß nicht, ob ein persönliches Schicksal oder das meiner Generation, beinahe immer und ohne eigenes Zutun "ohne Lehrer" gewesen zu sein: weil die meisten die es in irgendeinem Sinne hätten sein müssen, weder ernsthaft anziehen konnten noch zwingen, sie ernsthaft als Gegner anzusehen. Viel| leicht ist daran die Freude entstanden, dies nun doch noch einmal zu erfahren. Daß es so spät kommt, sorgt vielleicht dafür, daß es mit all der "Uneigentlichkeit" geschieht, die Sie verlangen werden. Und daß es nicht einer "Lehre" gegenüber geschieht, sondern eher einem Verhalten.

Wahrscheinlich ist das der Grund für die "entlarvende" Wirkung Ihres Denkens, die ich einmal vor Ihnen behauptete: daß die sichtbaren Aufgaben für uns noch so sehr dieselben sind wie die, auf die Sie lebensmäßig und im Denken antworten. Daß es also um der Dinge selbst willen zunächst noch so schwer für uns ist "über Sie hinaus zu gelangen."

Wenn das alles so ist, dann kann dieser Brief vielleicht doch eine Art von Dank sein – Dank für das beglückend Fruchtbare dieses Winters – der hoffen darf von Ihnen nicht abgelehnt zu werden.

Ihr ergebener
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