Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 5. Mai 1929Das Briefmanuskript ist undatiert. Die hier vorgenommene Datierung ist aus dem Kontext erschließbar.Das Briefmanuskript ist undatiert. Die hier vorgenommene Datierung ist aus dem Kontext erschließbar.

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Sonntag

Liebste Hannah!

Jetzt etwa vor 8 Tagen bist Du abgefahren und hast mich allein gelassen. Jetzt sitze ich in einem Hotel am Bahnhof und warte auf Reichl, der heut früh angerufen hat. [Inzwischen ist er gekommen. Wir haben uns lange und nett unterhalten. Er entschuldigte sich mit allgemeiner Verärgerung.] Jetzt bin ich zurück; es ist ein stiller sehr warmer Sonntagnachmittag. Heut früh war ich in den Anlagen und in der Galerie, auch am Wasser, wo sehr viel gerudert und gesegelt wird. Ich bin eigentlich sehr beglückt von Frankfurt| Es ist auf kleinerem Raum lebendiger als Dresden. Die inneren Anlagen sind jetzt wundervoll. – Gestern war viel los! Erst war ich auf der Universität. Dann wurde ich von Frau Oppenheim im Auto abgeholt, und sie zeigte mir die Stadt, vor allem die Neubauten von May. Ich bin froh, daß wir dort nicht wohnen. Ganz kleinbürgerlich; immer Reihenhäuser und ohne Auto kaum zu erreichen. Dann Mittagessen. Ich hatte mit dem Mann, der Großindustrieller und Wissenschaftstheoretiker ist eine stundenlange Unterhaltung. Dann in die Stadt, Bürste kaufen und die Buchhandlungen besichtigen (Nicht viel los). Am Abend bei| Riezler: Glänzendes Diner mit fabelhaften Weinen. Ich hatte Frau Riezler geb. Liebermann zu Tisch. Sie ist witzig, gesellschaftlich überlegen. Wir sprachen von Hauptmann, ihrem Vater, Berlin etc. Sie war auch im Kolleg2] gewesen. Außerdem war da die ehemalige Frau Prinzhorn, jetzt Frau Wolhard, die sehr schön aussah und Dich sehr herzlich grüßen läßt. Nachher gingen wir mit Gelbs und Reinhardts noch ins Kaffee. Frau Reinhard freut sich sehr auf Dich und sagte, man wäre sehr gespannt. Sie war auch im Kolleg und hat ihrem Mann, an dessen Urteil mir am meisten liegt, alles sehr be| geistert erzählt. Dieses war der erste und bisher einzige Gesellschaftstag. Die Wohnung ist so weit, daß die Tapeten herankönnen, und dann soll das Parkett abgezogen werden. Das müssen wir bezahlen. Es ist aber unbedingt nötig. Telephon ist beantragt. Den Wohnungsschein erhält nicht das Kuratorium, sondern das Wohnungsamt dafür daß es uns den Wohnberechtigungsschein für hier erteilt. – In der Pension alles unverändert. Vorgestern riefen Sulzbachs (Crissier!) an. Wir haben uns aber noch nicht verabredet. Die Kollegs scheinen stark gewirkt zu haben. Jedenfalls waren am 2 Tage mehr da als am ersten. Ich freue mich, daß Ihr morgen näher kommt. Schreib' gleich!

Ich liebe Dich!
Dein Paul.
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Grüße alle Marburger!!

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