Der editierte Text

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Liebste a!1

Mir gegenüber am Kaffeetisch sitzt ein Maler, dem ich Porträt sitze für eine Skizze der hier erschienenen "Köpfe" – – Du siehst, welche Verpflichtungen erwachsen. Die schlimmste war die, daß ich gestern Abend mit Frau b, (ca 55 Jahre, internationale komische Figur) Tango tanzen mußte zur Seelenerquickung aller Anwesenden. Freitag Abend war ein Vortrag des c mit vielen Lichtbildern, sehr nett und komisch. Gestern Abend ein Konzert, das d, der hervorragender Geiger ist, mit zwei anderen gab. Das Bild, wie e mit seiner Geige aufzog, war fabel| haft, eines alten Sieches würdig. Heut, Sonntag fällt die Fahrt nach f leider aus, statt dessen sind dauernd Studenten- und Dozenten-Besprechungen. Vormittag ein schöner Spaziergang mit g und h, die mir die Spitzen des Mantels annähen mußte, da sie sich wieder völlig gerollt hatten. – Eben wird i von j zur Bahn gebracht. Sie läßt Dich herzlich grüßen. – Die Vorträge von k hatten eine eigentümliche Wirkung. Im ersten Vortrag waren alle fasziniert, ich auch. Im zweiten war die Faszination völlig verschwunden, und man sah, wie wenig| Neues in seinen Gedanken ist. Trotzdem ist er der feinste Kopf hier. Viele fragen, ob er Katholik ist. – Nein. Herr l hat in der Diskussion über m Vortrag n zu Ehren gebracht, indem er die beiden ersten und formal besten Fragen stellte. –

Die Atmosphäre "o" wird mir immer unheimlicher. Heut Nacht erschienen mir vor dem Einschlafen die Kranken im Geiste und beunruhigten meine Seele. Ich bin ganz froh, daß es nur noch 2 Tage sind. Es kommen immer neue Leute, die einen irgendwoher kennen. Der Kreis der Bekannten geht schon über das Menschen-| Mögliche. [Ich werde immer noch skizziert].

Für Deine Karte2 tausend Dank! Ich habe direkte Sehnsucht nach Euch und dem Meer. Jedenfalls hat mir die Sache ungeheuren Schwung gegeben, und ich sehe, daß weder p noch q, noch r wirklich über mein "s" hinaus sind. Es lohnt sich schon, hier noch einmal zu arbeiten. Aber zuerst die Dogmatik. Ich habe viele neue Intensitäten bekommen. – Über Deinen Vino Orvieto Bigi freue ich mich, und auch auf ihn. Heut habe ich viel dienstliche Post erledigt! – Auf Wiedersehn mein Liebstes! Donnerstag! Grüß t und u!

In viel Liebe.
Dein
v.

Fußnoten, Anmerkungen

1Das Datum dieses im Original undatierten Briefes wurde durch seinen Kontext ermittelt.
2Diese Karte liegt nicht vor.

Register

aTillich, Hannah
bDriesch, Margarete
cBener, Gustav
dEinstein, Albert
eEinstein, Albert
fSankt Moritz
gMedicus, Fritz
hMedicus, Clara
iRothmann Goldstein, Eva
jGoldstein, Kurt
kHartmann, Nicolai
lHerr Donath
mEinstein, Albert
nDresden
oDavos
pEinstein, Albert
qHartmann, Nicolai
rGoldstein, Kurt
sTillich, Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden. Ein Entwurf v..., 1923
tGoesch, Heinrich
uFarris, Erdmuthe
vTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Hannah. Papers, 1896-1976., bMS 721/2(24)
Typ

Brief, eigenhändig. Briefpapier vom Grand Hotel Curhaus, Davos.

Postweg
Davos - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 23. März 1928
nächster Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 26. März 1928 [PS]

Entitäten

Personen

Orte

Literatur

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 25. März 1928, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00972.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00972.pdf