Der editierte Text

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Liebste Hannah (Details anzeigen)!1

Dieses wird wohl der letzte Brief sein, ehe ich komme. Wahrscheinlich fahre ich Dienstag hier ab und komme Mittwoch im Lauf des Nachmittag in L. (Details anzeigen) an. Wenn es technisch möglich ist, schreibe ich nach dem Zug. Sonst gehe ich einfach ins Albergo und an den Strand. Hier geht die Strapaze immer weiter. Inzwischen sind Litt (Details anzeigen) (Leipzig (Details anzeigen)) und Hartmann (Details anzeigen) (Marburg (Details anzeigen)-Köln (Details anzeigen)) gekommen. Die Debatte: Griesebach (Details anzeigen)-Medikus (Details anzeigen) und ich wird jetzt auch in den Vorlesungen fortgesetzt. Sonnabend gibt Einstein (Details anzeigen) ein Konzert. (Er ist auch ein bedeutender Musiker.) Sonntag fahren wir alle im Extrazug nach St. Moritz (Details anzeigen). Heut, Freitag Abend, habe ich meine Besprechung mit den Studenten. Es wird sehr zahlreich und sehr heftig werden.

Seit zwei Tagen ist Frau Weinhagen (Details anzeigen) hier. Von Arosa (Details anzeigen) herübergekommen. Ich sehe sie verhältnismäßig selten, da sie viel Ski läuft. Sie hat in Arosa (Details anzeigen) einen internationalen Preis erhalten. Ich verstehe mich eigentlich gar nicht mit ihr. Dabei glaube ich, daß sie ein wertvollerer Mensch ist, als man annimmt. Heut fährt sie nach Zürich (Details anzeigen) ab, da es ihrem Mann (Details anzeigen) wieder schlecht geht. – Gestern bin ich mit Frau Medikus (Details anzeigen) die Drahtseilbahn hinaufgefahren; die Analyse hatte schon viel geholfen. Ich konnte mich ganz ruhig unterhalten. – Weiter existiert die Frau eines finnischen Konsuls in Genua, Pragerin, ein Schützling der Frau Bankdirektor. Sie hat uns für die Rückfahrt nach Genua (Details anzeigen) eingeladen, falls sie schon herunter darf. – Weiter ist eine Ärztin da, selbst krank, die mir durch| ihren Mann sagen ließ, daß sie mich von einem Sozialistenball her kennt. Wir stellten dann fest, daß sie mich versetzt hatte, weil ich zu viel philosophierte. Ich erinnerte mich genau, denn mich hatte das damals etwas getroffen; und sie war so schön, daß Greti (Details anzeigen) mir damals sagte, solche schönen Frauen wären nichts für mich. Jetzt scheint sie recht krank zu sein. Weiter ist da eine Berichterstatterin Frau Dr. Herzberg (Details anzeigen), Schützling von Hugo Simon (Details anzeigen). – Weiter ... u. s. w. du siehst: Die Möglichkeiten sind gleich „unendlich“. Die Wirklichkeiten infolgedessen gleich „Null“. Außer der Abendstunde frißt Arbeit und {Sonne} alles auf. Und Abends auch nur von 10-11 zum Tanz. Bis dahin wird debattiert.

Die Atmosphäre von Davos (Details anzeigen) ist unheimlich für mich. 4-5000 Kranke auf den Hallen aller Sanatorien, auf den Straßen und Wegen; ständige Suggestion, selbst krank zu werden. Sehr viel Schönheit und Eleganz. Sehr viel Klatsch und Erotik. Der Ort unerhört häßlich in unerhört schöner Landschaft. Man kann hier ebenso krank wie gesund werden. Jedenfalls würde ich freiwillig nicht wiederkommen. Was allen fehlt ist die Einfügung in den sozialen Arbeitszusammenhang. Es ist eine irgendwie abstrakte Existenzform. Für mich ist es überaus unheimlich. – Herr Gideon (Details anzeigen) und Frau (Details anzeigen) (Askona (Details anzeigen)) lassen Dich grüßen. – Hab Dank für die Briefe! Von Sonntag an lasse ich alle Post nach Laigueglia (Details anzeigen) schicken. Grüß Heinrich (Details anzeigen) herzlich. Er hat einen Konkurrenten in Oppenheimer (Details anzeigen), der fast wörtlich wie er über seine Lösung der sozialen Fragen spricht und sich beklagt, daß er nicht gehört wird.

Süße liebe Hannah (Details anzeigen), ich freue mich auf Euch!
Dein

Paul (Details anzeigen).


Fußnoten, Anmerkungen

1Das Datum dieses im Original undatierten Briefes wurde durch seinen Kontext ermittelt.

Register

aTillich, Hannah
bLaigueglia
cLitt, Theodor
dLeipzig
eHartmann, Nicolai
fMarburg
gKöln
hGrisebach, Eberhard
iMedicus, Fritz
jEinstein, Albert
kSankt Moritz
lFrau Weinhagen
mArosa
nArosa
oZürich
pHerr Weinhagen
qMedicus, Clara
rGenua
sTillich, Margarete
tFrau Dr. Herzberg
uSimon, Hugo
vDavos
wHerr Gideon
xFrau Gideon
yAscona
zLaigueglia
aaGoesch, Heinrich
abOppenheimer, Franz
acTillich, Hannah
adTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Hannah. Papers, 1896-1976., bMS 721/2(24)
Typ

Brief, eigenhändig. Briefpapier der "Davoser Hochschulkurse/Cours Universitaires à Davos".

Postweg
Davos - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Paul Tillich an Hannah Tillich, zweite Märzhälfte 1928
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 25. März 1928

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 23. März 1928, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00971.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00971.pdf