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Liebste Hannah!

Ich sitze auf dem Dampfer zwischen Quiberon und Belle-Ile, der mächtig schaukelt bei herrlichem blauem Wetter. Ich denke so viel an Dich und unsere Meerfahrt und an die südlichen Buchten die hier schon anfangen. Der letzte Brief war auf der Fahrt nach Quiberon geschrieben. Die Ankunft war eine große Enttäuschung: Herrliche Lage, aber völlig versaut durch Autos, Staub und Schmutz. Mit Mühe fanden wir Zimmer und fuhren dann bei erstem Morgen herüber zur Insel. Auch hier fanden wir zunächst| nicht, was wir suchten und wollten zurückfahren, versäumten aber den letzten Dampfer und mußten nun dableiben. Inzwischen kamen Telegramme von anderswo, die uns zwangen, bis zum 15ten hier zu bleiben, und wir sind glücklich darüber. Denn es ist an sich fabelhaft schön. Halb südlich, halb wildes Meer. Unerhörte Farben. Hier habe ich van Gogh begriffen, besonders seine Hafenbilder. Die Segel braun blau!, weiß, goldgelb. Die Schiffe rot, schwarz, grün etc. Dann die bretonische Tracht. Die Frauen schwarze Kleider à la Elisabeth von England.| (Jetzt schaukelt das Dämpferchen so, daß ich mich kaum auf dem Sitz halten kann; gut, daß Du nicht mitfährst!) Die Schiffer haben herrlich farbige orange-braune Hosen und Jacken. Die Farben der Insel sind fein und südlich. Die Ufer ähnlich wie Taormina, nur wüster. Jeden Morgen kommt der Dampfer mit Touristen, die im Autotaxi die Tour rings um die Insel machen – Wir waren noch zu sparsam dazu – – –

Ich habe viele sehr merkwürdige Träume gehabt: In der ersten Nacht wollte ich Christian die Freundschaft kündigen, wenn er mir nicht| das (Eckart) geliehene Geld zurückgeben würde. In der zweiten ging ich mit Spitta Arm in Arm als Liebespaar spazieren. In der dritten Nacht fuhren Kallen (?), Frl. Große (Kallens Freundin), Eckart und ich spazieren. Eckart machte einen mühsam von mir abgewehrten Angriff auf mein Männlein, während die Frauen sich lieb hatten. In der vierten Nacht wanderten Eckart, Christian und ich von Florenz nach Rom über Siena, Orvieto. Dabei kamen wir in einen Park, in den ich "groß" verschwinden wollte, aber keinen Platz fand. Nachher begegnete ich mit einem fremden Mann zusammen Christian, der uns in einem weiten Bogen "beschiffte", was mir um des anderen willen sehr peinlich war. Als ich es abwaschen wollte, war es klebrig und ich wunderte mich, daß Christian so weit im Bogen "lieben" konnte. Dann gingen wir in die| Kirche, die alt-basilikal war. Am Hinterausgang fragte Christian einen Mönch, ob dort der Eingang wäre. Dieser antwortete, daß er sich freue, daß Christian ihn gleich deutsch anrede. Der Zugang aber sei an der andern Seite. Innen war alles herrlich gelb gestrichen und in der Ecke eine gothische Verzierung abgeschlagen, ein Überbleibsel der Gothisierung der alten Basilika, die man wieder beseitigt hatte. Ich erklärte mit höchster Begeisterung, daß nur die basilikale Kirche gut war und alles seit-dem Kitsch – – – – –

So weit die Träume. Ich führe sie darauf zurück, daß durch das Zusammensein mit Eckart am Meer die Kindheitssituation wiederhergestellt ist, vor aller Frau, also| mit stark homosexueller und analer Note, die übrigens Eckart gegenüber nie im geringsten aktuell war. Vielleicht gibst Du dieses Material mal an Heinrich. Es ist ja reichlich toll.

Wir wohnen jetzt also auf der Belle-Ile im Atlantischen Ozean in La Palais, dem Hauptort. Gestern haben wir einen starken Westwind erlebt mit der Wirkung der Wellen (Biskaya!!) auf die Felsen, die auf der Karte nebenbei abgebildet sind. Es war grandios. Es spricht für Sarah Bernhardt, daß sie sich diese vielleicht schönste und wildeste Stelle von Frankreich ausgesucht hat, um ihr Schloß zu bauen.| Morgen sind es genau 14 Tage, daß ich abgefahren bin und noch kein Wort von Dir!! Schicke doch einmal einen eingeschriebenen Brief, damit ich wenigstens zum 20ten etwas von Dir gehört habe. Und zwar an die Adresse Le Palais Belle-Ile-en Mer Hotel du Commerce. Wir zahlen hier nur 37 Fr., also 5 M pro Tag. Der einzige Fehler ist der, daß wir an der dem Festland zugewandten Seite der Insel wohnen und darum keine starke See haben. Wir werden darum wahrscheinlich Montag weiter fahren. Aber schreibe hierher!! Christian wird dann abfahren. Eckart bleibt noch.

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Menschen, besonders Frauen, lernen wir überhaupt nicht kennen. Das scheint nicht nur an uns zu liegen, sondern ganz allgemein zu sein. Ich bedaure es nicht sehr. Für die Erholung ist es so besser.

Da ich überhaupt nicht weiß, wie es bei Euch steht, kann ich auch nichts fragen; höchstens, was der wilde Wein macht– – – –

Liebste, süße Hannah! Daß wir so lange und so radikal getrennt sind, ist bös!! Ich darf gar nicht daran denken!! Von Tag zu Tag hoffe ich auf Dich und ein Wort von Dir. Ich selbst schreibe jeden Tag! In großer Liebe!

Dein Paul.
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