Brief von Gertrud Fritz an Paul Tillich vom 14. Dezember 1921

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Der editierte Text

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a, d. 14.12.1921
Lieber b,

c möchte, daß ich Dir wegen d schreibe wie ich über ihre augenblicklichen Wünsche und Pläne denke. Denn grundsätzlich lehne ich es ab eine Entscheidung darüber ob e wenn sie ihren Mann jetzt verläßt zu uns kommt, zu fällen. Da keinerlei persönliche Bindungen u. Verpflichtungen zwischen f und mir vorhanden sind, habe ich auch keine Rechte in seinen sachlichen Angelegenheiten ausschlaggebende Töne zu reden. Aber gerade aus dieser Freiheit heraus kann ich objektif und doch in vollster Anteilnahme als Eure Freundin, die Euer Schicksal im Herzen bewegt und als| Frau, die mit tiefem Interesse g Lebensweg begleitet, darüber reden.

Du weißt, daß ich den früheren Entschluß h dem Doppelb{¿¿} ein Ende zu machen, zu uns zu kommen als Übergang zu Dir freudig unterstützte; weil ich an den Durchbruch des unbedingten Einsseinsgefühls zwischen Euch glaubte. Mein Glaube ist schwankend geworden nach den Aufschüben im richtigen Augenblick um wesenloser Gründe willen nach dem Eindruck den ich von Deiner Seelenverfassung im {¿¿¿} hatte. Jedenfalls halte ich es für ein Unrecht i in dieser Zeit in ihrem Trennungsplan zu bestärken aus inneren und äußeren Gründen.|

1.) a. Jede Frau ist in der Zeit ihrer ersten Schwangerschaft nicht voll normal wenigstens hochgespannt besonders exthatische [sic!] Naturen wie j sollten in dieser Zeit nicht eine Entscheidung treffen die ihrem ganzen Leben eine andere Wendung gibt - eine Wendung, die im normalen Zustand nur phantasiehaft genossen nie tatkräftig durchgeführt wurde trotz viel leichterer Möglichkeiten als zur Zeit. b. Gerade die Zeit des Werdens eines neuen Menschen ist für mich erfüllt von mystischen Wechselbeziehungen zwischen Vater und Mutter eine Zeit unsichtbarer Kämpfe herandrängender Seelen aus aus [sic!] beiderseitigen Familien, die aus {¿¿¿}ischer Verdammt | heit grauer Vorzeiten zum erlösenden Sein im Licht herandrängen - Es verletzt mein heiligstes Lebensgefühl den Plan 2 Menschen gerade in dieser Zeit auseinanderzureißen - zu unterstützen. Eine Mutter steht gerade in solchen Zeiten unter dem unabweisbaren Schicksal {nur} Schöpfungsgebiet zu sein und ihr Eigenleben dem Neuen, das da kommen soll, unterzuordnen. 2.) a. Auch die äußeren Gründe knüpfen an diese Verantwortung gegen Mutter und Kind an; ich meine die wirtschaftlichen Fragen. Wer soll die Kosten tragen, welche die letzten 4 Monate und die Geburt, die folgende Zeit der Pflege erfordern? Du weißt| daß k über seine Geldverhältnisse keinen Überblick hat. Durch meine Hand geht das Monats-Gehalt manchmal auch mehr für die Bedürfnisse des Hauses und der Kinder. Nur weil l im vorigen einsamen Jahr einige 1000 zurücklegen konnte, kommen wir ohne Schulden hin bei dieser rasenden Teuerung; aber der kleine Fond wird bald zu Ende sein. Ich fürchte die arme m [sic!] würde sich bedrückt u. unglücklich fühlen, da an selbstverdienen nicht zu denken ist in der letzten Zeit. Oben das ofenlose Fremdenzimmer, dann ein oft sehr lautes kindervolles Kinderzimmer und unten n Zimmer, der nicht gut andere Menschen verträgt zu Zeiten. Die Centralheizung gehört ja uns zu den| Festzeiten wenn unser Junge z. B. Weihnachten kommt! - Für gesunde Menschen, die arbeiten und verdienen können, sind diese Schwierigkeiten unerheblich aber für eine Mutter und ihr Baby fallen sie schwer ins Gewicht. 1 Tag in der Geburtsklinik kostet 60-80 Mark. - Ich muß diese Geldnöte vor Dir aufrollen um den Gegensatz zu o eigener sorglosen Häuslichkeit klarzustellen, der in dieser Zeit der gegebene Ort für sie ist. Anders läge die Sache, wenn ihr Mann ihr zuwider wäre. Dann wäre es Pflicht mit ihr zu hungern - dann wären auch die entscheidenden inneren Gründe hinfällig - aber sie liebt ihn ja! -

| Wir können ihr ja nicht einmal das erwünschte Zusammensein mit Dir verschaffen, weil wir nicht in p wohnen! - b.) Euer Zusammensein hier wäre sogar erschwert; wegen q Stellung in r. Die Welt ist so klein und klatschig. Wir müssen froh sein, wenn unsere Freiheit nicht bedroht wird durch böse Mäuler und dürfen das Conto dieses Hauses der {I. St.} nicht zu kühn belasten. Du siehst ich habe ehrlich die Gefahren alle durchdacht um Dir die schwere Verantwortung zu zeigen, die Du übernimmst wenn Du s [sic!] fortrufst von ihrem Mann, worauf sie wartet. Ob die Stärke Deines Gefühls dem| allen gewachsen ist und vor allen auch dem ihren, wenn die nüchterne Enge des t Alltags sie umgibt? - Macht sie sich ohne Deinen Ruf |:trotz Deiner Gegenvorstellungen:| aus innerstem Triebe frei, bin ich die letzte, die nicht weitere Wege suchen und finden hilft und sie für Dich nicht pflegte soweit es möglich ist ohne meine u verkürzen zu müssen! - Ich wünsche aber von Herzen zu Euer aller Besten, daß v mit dem Beginn ihres neuen Lebens wartet bis das Kind geboren, sie wieder klar in die Zukunft sehen und auf eigenen Füßen stehen kann. - Daß Du dadurch einige Monate länger ohne Frau sein mußt erscheint| mir nicht tragisch. Wenn man sein geliebtes Wesen für sein ganzes Leben gewinnen will, kommt es auf ein par [sic!] Monate Pein mehr oder weniger nicht an. Und dann ist es nicht Ausfluß einer Hochspannung sondern ein wahrhaftiges Zu-Dir-kommen. Oder ihre Erkenntnis wendet sich anders, und sie | bleibt bei dem Vater ihres Kindes. Meinem Empfinden nach liegt dort Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung. Aber auch mein wissen u. fühlen ist Stückwerk. - Die Männer w u. x sind heute in y. Wir haben z Geburtstag gefeiert mit Cakao und Apfelkuchen. Die Engländer kommen nochmal wieder vom 25.11.-10.12. aa war zu schön für ab u. {ac}. Das sind die letzten Neuigkeiten. |:Fühlst Du mein getreues Mitleben in all Deinem Hasten?:|

Viele Grüße!
ad.

1000 Grüße an ae.


Fußnoten, Anmerkungen

Register

aBremen
bTillich, Paul
cFritz, Alfred
dTillich, Hannah
eTillich, Hannah
fFritz, Alfred
gTillich, Hannah
hTillich, Hannah
iTillich, Hannah
jTillich, Hannah
kFritz, Alfred
lFritz, Alfred
mTillich, Hannah
nFritz, Alfred
oTillich, Hannah
pBerlin
qFritz, Alfred
rBremen
sTillich, Hannah
tBremen
uSchafft, Johanna
vTillich, Hannah
wWegener, Carl Richard
xFritz, Alfred
yHamburg
zFritz, Eckehardt
aaBremen
ab???, Anna
acLetham, ???
adFritz (geb. Horn), Gertrude
aeWinkler, Toni

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974, bMS 649/143(25)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Bremen - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Gertrude Fritz an Paul Tillich vom 15. Januar 1920

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Gertrud Fritz an Paul Tillich vom 14. Dezember 1921, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00743.html, Zugriff am ????.

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