Brief von Richard Wegener an Paul Tillich vom 28. August 1921

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Der editierte Text

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Berlin (Details anzeigen), d. 28. August 1921

Lieber Paulus (Details anzeigen)

Dr. Otte (Details anzeigen) hat mir den „zweiten Entwurf“ nebst „Entwurf eines Erbvertrages"“ zugeschickt. Damit wir nun nicht länger mit diesem Hin- und Her versenden zu tun haben, das für uns beide nicht erfreulich ist, erkläre ich hiermit, daß ich mit beiden Entwürfen einverstanden bin.

Die Zahlen, besonders die Anfangssumme 250 M, sind zwar höher als diejenigen, die ich zum Gegenvorschlag machte. Ich halte es noch immer für ausgeschlossen, daß der Junge in den ersten drei Jahren faktisch mehr als 200 braucht. Aber da ich in nächster Zeit die allgemeine Beamtenaufbesserung auch für mich zu erwarten habe, will ich auf 250 Mark eingehn.

Wir können also sobald Du willst zur Festlegung der beiden Verträge schreiten.

Dein Dox. (Details anzeigen)

Ich möchte, daß in den Vertrag hineinkommt: Die Anrufung der Entscheidung eines Senatsmitgl. des Kammergerichts erfolgt nur in dem Falle, daß beide Parteien sich über die Erhöhung bzw Verminderung der Rentenquoten nicht gütlich und von sich aus einigen. Denn wozu jedes mal dies Verfahren u. die Kosten desselben.|

Zu Deinem Brief folgendes. Du mußt Deinen Vater (Details anzeigen) verhindern irgendwie gegen mich vorzugehen. Die Anfechtungsklage kannst nur Du erheben, und wenn Du Dich weigerst, dies zu tun, so ist alles gut. Gegen die Ausübung eines Zwanges auf mich zum Verzicht auf die Rechte des geistl. Standes kann ich mich nur schützen durch Gegendruck. Meine Laufbahn wäre zuende. Darum muß ich Deine mit derselben Waffe bedrohen. Ich kann ja erstens geltend machen, daß ich in Bezug auf meinen Verkehr mit Gr. (Details anzeigen) immer das Einverständnis des Ehemannes hatte. Schon schlimm für Dich. Zweitens kann ich öffentlich behaupten u. im Beleidigungsprozeß unter Beweis stellen, daß Du mit 6-10 der „Zeuginnen“ - na usw. Dieser ganze Schlamassel ist so grotesk, daß wohl selbst Dein Vater (Details anzeigen) ihn weder in Deinem noch im Interesse der ehemal. Landeskirche wünschen kann. Ich denke natürlich nicht daran, dieses üble Verfahren anzuwenden - das weißt Du ja - wenn nicht Dein schwarzbärtiger Vater (Details anzeigen) mich dazu zwingt. Diese Väter sind Menschenschlächter. Halten wir zusammen gegen sie. Aber Du mußt Deinem Vater (Details anzeigen) klar machen, daß Du in einem Glashause sitzt, das so wenig| wie meins Steinwürfe verträgt. Jener Bitterkeit gegen mich, von der Du schreibst, hatte ich s. Zt. eine andere entgegen zu setzen: als Gr. (Details anzeigen) mich mit Dir betrog, zog jene eisige Härte und absolute Leere und Schonungslosigkeit gegen Gr. (Details anzeigen) in mein Herz ein, die bis heute geblieben ist und die mich psychologisch zu dem großen Messerschnitt fähig machte. Das ist Dein ungewolltes Werk gewesen. Daß Du Dich auf Deines Lebens Mitte in dieser Tragik findest, nimm hin. Sieh lieber vor Dich und denke, daß Du aus dieser Tragik Tiefe und Gehalt erntest. Schließlich bin ich in analogem Fall. Ich schreite endlich zu einer Ehe (also zu einem Aufbau) aus solcher Negation heraus und muß sehen, ob mir nach diesem noch zu Aufschwung, zu Position, zu Aufbau eines Wesentlichen innere Kraft genug verblieb. Ich traue ein letztes Mal meiner seelischen Vitalität. Wenn ich glauben müsste, daß ich nur noch zu Halbem, Kümmerlichem fähig bin, würde ich es nicht wagen. Ich wage es nur, weil ich glaube, daß ich noch einmal, ja: noch jetzt, trotz und mit dieser „Tat“, die hinter mir ist, Ganzes bauen werde. Letzter Aufstieg. Diesen Bauwillen wünsche ich Dir und seine glückliche Vollendung zu dieser Mittzeit Deines Lebens. Unsere alte Freundschaft könnte, trotz allem, zu diesem mutigen Weiterfliegen ein Motor sein.

Ich denke ja schon lange daran, ob ich aus der Kirche austreten soll, ohne großen Klimbim natürlich. Ich würde dann dem Konsistorium mitteilen: Ich bin mit dem heutigen Tage aus der Ev. Kirche ausgeschieden und verzichte gleichzeitig auf die Rechte des geistl. Standes. Punkt, fertig. Da ich kirchl. Trauung für Unfug halte, ist ja sowieso für mich der psychol. Augenblick zu diesem Schritt gekommen. (Die Trauung ist ja im N.T. nicht vorgesehn und nur noch ein kastriertes Sakrament) Dieses Verfahren hat viel für sich und gegen sich nur dies, daß es wie Flucht vor dem Angriff Deines väterlichen Großinquisitors (Details anzeigen) aussieht. Was meinst Du dazu? Wenn, dann müßte ich es jetzt beim Bestellen des Aufgebotes u. aus diesem Anlaß tun. Ich habe schon einer ganzen Schar von befreundeten Pastoren (Köhler (Details anzeigen), Wendland (Details anzeigen)) gesagt, daß ich an kirchl. Trauung nicht denke. Es würde also von denen, die mich kennen, in dieser Richtung u. aus meiner polit. Stellung heraus verstanden werden.


Fußnoten, Anmerkungen

Register

aBerlin
bTillich, Paul
cOtte, ???
dWegener, Carl Richard
eTillich, Johannes Oskar
fTillich, Margarete
gTillich, Johannes Oskar
hTillich, Johannes Oskar
iTillich, Johannes Oskar
jTillich, Margarete
kTillich, Margarete
lWegener, Carl Richard
mTillich, Johannes Oskar
nKöhler, Siegfried
oWendland, Heinz-Dietrich

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974, bMS 649/202(44)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Berlin - unbekannt
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Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Richard Wegener an Paul Tillich vom 28. August 1921, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00731.html, Zugriff am ????.

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