Der editierte Text

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Geliebte a!

Hoffentlich wirst Du nun alle drei Briefe, die ich nach b schrieb, in den Händen haben, ich warte sehr dringend auf Antwort bez. Schweden, und bitte Dich, mir in Ruhe und Umsicht Deine Gedanken zu entwickeln; denn alles andere hat jetzt keinen Sinn mehr. Ich warte täglich in Sehnsucht und Ruhe auf Deine Briefe. In Sehnsucht, weil ich Dich liebe, und mir jedes Wort von Dir Kostbarkeit ist; in Ruhe, weil es auch darauf jetzt nicht mehr ankommt. Nicht als ob ich irgend etwas leichter nähme, als vorher; aber Worte können zu nichts mehr nützen; es handelt sich jetzt einfach um das Tun, und zwar erstens um das richtige und zweitens um das zweckmäßige. Das erste ist die Tat, die nun aus Dir hervorbrechen muß als Deine Schöpfung; das andere ist der Weg, den wir in gemeinsamer Überlegung finden müssen. Ich warte auf das erste, und sinne über den zweiten. – In mir selbst bewegt sich unsere Tat als mein tiefstes Schicksal, und jedes Ereignis und jede Anspielung setzt die Untergründe meiner Seele in Bewegung. Gestern war ich im Theater und sah ein Stück: "Der Teufel", das von ähnlichen Dingen handelt.1 Trotz bühnenmäßiger und geistiger Mängel – ich hatte natürlich Freibillet – war ich erschüttert. Der Schicksalssturm auf der Bühne, wurde Sturm für das Schicksal, das in uns sich bereitet und trieb das meist ruhende Meer zu wilden Wogen; und doch triumphierte in mir der "amor fati", die Liebe zum Schicksal, das durch Leiden die Größe gibt, von ihm gewürdigt zu sein. – Meine äußere Lage scheint günstiger zu werden; ich habe einen Brief von Professor d, Kunstreferent im Kultusministerium, der mich schätzt und mir helfen will, daß er mit verschiedenen gesprochen habe, daß man meine Arbeiten aufmerksam verfolge, und daß er sich über die Zukunft sehr optimistisch äußern könne. Sonnabend gehe ich zu ihm und werde näheres hören. – Wie ist es eigentlich mit Eurer Berufung {nach}2 e? Ich habe lange nichts darüber gehört. Ist die Sache eingeschlafen? {Bitte} gib mir doch sofort Nachricht darüber. – Ist es nicht möglich, daß Ihr {nach} f über g fahrt? Und daß wir uns dann ein paar {Stunden}{¿¿¿ ... ¿¿¿}| Vielleicht kannst Du einen neuen festen oder beweglichen "Gain" machen lassen? Vielleicht kannst Du zu diesem Zweck zwei Tage vor Urlaubsanfang kommen, damit Ihr an der See keine Zeit verliert. Auch darüber, und wann das etwa sein könnte, gib mir bitte Nachricht! – Ich selbst habe noch keine festen Pläne; es ist alles so teuer und es kommt hinzu, daß ich noch nicht recht weiß, mit wem ich gehen könnte; allein ist unmöglich, da ich jemand haben muß, mit dem ich außer Mittag alle Mahlzeiten esse, da es sonst zu teuer wird. Und h muß hierbleiben wegen des Mieters. – Deinen Brief an i habe ich erhalten; er ist sehr scharf; denn er trifft die wundeste Stelle, die Eifersucht; ich will ihn abschicken und selbst dazu schreiben, ohne auf die Einzelheiten des Vergangenen einzugehen. Es ist eben doch nicht möglich, zu lieben, um zu ändern; es war mein Fehler, daß ich das tat, während sie nur liebte. Aber es war falsch, daß nicht dieses Innere, sondern die Eifersucht und die Rücksicht auf andere sie bestimmt haben. – – Ich würde meinem dafür gerne eine Änderung in der Richtung geben, daß. Eben kommt Dein Brief,3 der lieblos und verständnislos ist. Mich empört Deine Forderung, irgend etwas zu tun, als ob Du nicht da wärst, sei es äußerlich, sei es innerlich. Ich gehe nirgends hin, wenn es unser Zusammenkommen unmöglich macht; ich frage nicht, ob es Dir recht ist, sondern ob es an sich möglich ist. Ich lasse auch kein Gefühl zu irgend einer Frau in mir wachsen, weil gar nicht der Boden da ist, wo es Wurzel fassen könnte; denn diesen Boden nimmst Du ein, falls Du Dich nicht gewaltsam entwurzelst. Ich danke meinem Gott und meinem Schicksal[,] daß ich eine Bindung kenne, die tiefer ist als jedes Gesetz, und ich lasse sie mir nicht antasten, weder durch meine Sinnlichkeit, noch durch Deine törichten Worte. Meine Liebe zu Dir steht auch über den Stunden Deiner Schwäche und Opposition. – Die Sache {mit}4 Schweden war eine Antwort auf Deine Frage nach j; es handelt sich nicht um {Bin¿¿¿}, sondern um eine Stätte der Ruhe zur Entscheidung. k! Die ungeheuren {Schwankungen} Deiner Seele machen mir Sorgen!

Dein l.

Fußnoten, Anmerkungen

1Es dürfte sich um das gleichnamige Stück von c handeln.
2Am rechten unteren Seitenrand ist das Papier beschädigt, wodurch einige Worte nur teilweise zu lesen sind.
3Dieser Brief liegt nicht vor.
4Am linken unteren Seitenrand ist das Papier beschädigt, wodurch einige Worte nur teilweise zu lesen sind.

Register

aTillich, Hannah
bGera
cMolnár, Ferenc
dKestenberg, Leo
eBerlin
fWisełka
gBerlin
hWinkler, Toni
iMengelberg, Nora
jAthen
kTillich, Hannah
lTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard, Harvard Divinity School Library, Tillich, Hannah. Papers, 1896-1976, bMS 721/2(17)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
unbekannt - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom Juli 1921
nächster Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 22. April 1923 [PS]

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom Juli 1921, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00724.html, Zugriff am ????.

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