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den 01.07.1921

Geliebte Hannah!

Hoffentlich wirst Du nun alle drei Briefe, die ich nach Gera schrieb, in den Händen haben, ich warte sehr dringend auf Antwort bez.üglich Schweden, und bitte Dich mir in Ruhe und Umsicht Deine Gedanken zu entwickeln; denn alles andere hat jetzt keinen Sinn mehr. Ich warte täglich in Sehnsucht und Ruhe auf Deine Briefe. In Sehnsucht, weil ich Dich liebe, und mir jedes Wort von Dir Kostbarkeit ist; in Ruhe, weil es auch darauf jetzt nicht mehr ankommt. Nicht als ob ich irgend etwas leichter nähme, als vorher; aber Worte können zu nichts mehr nützen; es handelt sich jetzt einfach um das Tun, und zwar erstens um das richtige und zweitens um das zweckmäßige. Das erste ist die Tat, die nun aus Dir hervorbrechen muß als Deine Schöpfung; das andere ist der Weg, den wir in gemeinsamer Überlegung finden müssen. Ich warte auf das erste, und sinne über den zweiten. – In mir selbst bewegt sich unsere Tat als mein tiefstes Schicksal, und jedes Ereignis und jede Anspielung setzt die Untergründe meiner Seele in Bewegung. Gestern war ich im Theater und sah ein Stück: „Der Teufel“, das von ähnlichen Dingen handelt. Trotz bühnenmäßiger und geistiger Mängel – ich hatte natürlich Freibillet – war ich erschüttert. Der Schicksalssturm auf der Bühne, wurde Sturm für das Schicksal, das in uns sich bereitet und trieb das meist ruhende Meer zu wilden Wogen; und doch triumphierte in mir der „amor fati“, die Liebe zum Schicksal, das durch Leiden die Größe gibt, von ihm gewürdigt zu sein. – Meine äußere Lage scheint günstiger zu werden; ich habe einen Brief von Professor Kestenberg, Kunstreferent im Kultusministerium, der mich schätzt und mir helfen will, daß er mit verschiedenen gesprochen habe, daß man meine Arbeiten aufmerksam verfolge, und daß er sich über die Zukunft sehr optimistisch äußern könne. Sonnabend gehe ich zu ihm und werde näheres hören. – Wie ist es eigentlich mit Eurer Berufung nach Berlin? Ich habe lange nichts darüber gehört. Ist die Sache eingeschlafen? Bitte gib mir doch sofort Nachricht darüber. – Ist es nicht möglich, daß Ihr nach Neuendorf über Berlin fahrt? Und daß wir uns dann ein paar Stunden¿¿¿ ... ¿¿¿| Vielleicht kannst Du einen neuen festen oder beweglichen „Gain“ machen lassen? Vielleicht kannst Du zu diesem Zweck zwei Tage vor Urlaubsanfang kommen, damit Ihr an der See keine Zeit verliert. Auch darüber, und wann das etwa sein könnte, gib mir bitte Nachricht! – Ich selbst habe noch keine festen Pläne; es ist alles so teuer und es kommt hinzu, daß ich noch nicht recht weiß, mit wem ich gehen könnte; allein ist unmöglich, da ich jemand haben muß, mit dem ichmeist außer Mittag alle Mahlzeiten esse, da es sonst zu teuer wird. Und Toni muß hierbleiben wegen des Mieters. – Deinen Brief an Nora habe ich erhalten; er ist sicher scharf; denn er trifft die wundeste Stelle, die Eifersucht; ich will ihn abschicken und selbst dazu schreiben, ohne auf die Einzelheiten des Vergangenen einzugehen. Es ist eben doch nicht möglich, zu lieben, um zu ändern; es war ein Fehler, daß ich es tat, während sie nur liebte. Aber es war falsch, daß nicht dieses Innere, sondern die Eifersucht und die Rücksicht auf andere sie bestimmt haben. – –Ich würde meinem dafür gerne eine Änderung der Richtung geben, daß. Eben kommt Dein Brief, der lieblos und verständnislos ist. Mich empört Deine Forderung, irgend etwas zu tun, als ob Du nicht da wärst, sei es äußerlich, sei es innerlich. Ich gehe nirgends hin, wenn es unser Zusammenkommen unmöglich macht; ich frage nicht, ob es Dir recht ist, sondern ob es an sich möglich ist. Ich lasse auch kein Gefühl zu irgend einer Frau in mir wachsen, weil gar nicht der Boden da ist, wo es Wurzel fassen könnte; denn diesen Boden nimmst Du ein, falls Du Dich nicht gewaltsam entwurzelst. Ich danke meinem Gott und meinem Schicksal, daß ich meine Bindung kenne, die tiefer ist als jedes Gesetz, und ich lasse sie mir nicht antasten, weder durch meine Sinnlichkeit, noch durch Deine törichten Worte. Meine Liebe zu Dir steht auch über den Stunden Deiner Schwäche und Opposition. – Die Sache mit Schweden war eine Antwort auf Deine Frage nach Athen; es handelt sich nicht um Bin¿and, sondern um eine Stätte der Ruhe zur Entscheidung. Hannah! Die ungeheuren Schwankungen Deiner Seele machen mir Sorgen!

Dein Paul.
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