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D. 30. Mai 1917.

Lieber Papa!

Heut früh sollte dieser Brief abgehen; statt dessen lagen wir, wie alle paar Tage jetzt, auf der Landstraße, und wanderten, ca. 20 km weit; und nun sitze ich in einer neuen Bude und weiß nicht ob es 3 oder 13 Tage dauern wird! In diese Unruhe hinein kommt nun der Gedanke an Deinen Geburtstag und mit ihm der Wunsch, Dir zu schreiben, aller Unruhe zum Trotz! Und es ist ja auch wie ein Herausgleiten aus der Unruhe dieser Zeit, wenn ich an den 3. Juni im Garten der Neuenburgerstr. denke! Wieviele Gestalten ziehen da am Geiste vorüber; allen voran die Großeltern, ruhig sitzend in den eisernen Federstühlen, Toni mit Tante Grete und Schwester Therese und Käthe Wirchel, Schmidts, alte und junge, Lucie und Edith, und zuletzt, immer etwas zu spät, Onkel Paul und Tante Else; dazu Herr Krüger mit dem Chor und über allem die blühenden Akazien, und der leise von Raupen angefressene Eichbaum; Wein und Torte, Musik, Glückwünsche, und schließlich Abschied Nehmen auf dem warmen Hof, wo der Springbrunnen ging zur Ehre des Tages, unter Feigen und Oleander… und dazu Tonichens Geburtstag und das Problem der gemeinsamen Feier, und Tonichens Verwandte, und | Tonichens Sorgen und Nöte und großen Geschenke – – – und ich dazwischen, im letzten Grunde nur halb dabei, umhergehend, den Geist und den letzten Ernst allein in der fremden Welt des Gedankens mit ihren wundersamen Visionen und Begeisterungen und Nöten – – – Verzeih, daß ich ins Phantasieren komme, aber "das war meine Welt, das war eine Welt" – eine ganze Welt von Seligkeit und wirklichkeitsferner Unschuld! Und an diesem Tage standest Du im Mittelpunkt! – Dies ist nun der erste Geburtstag außerhalb des Amtes und Du wirst ihn doppelt genießen; und ich wünsche Dir, daß er der Geburtstag neuer Frische und Fröhlichkeit werden möge, damit Du noch viel arbeiten kannst in dem was Dir am meisten liegt! – – – Ich bin schwer getroffen durch den Verlust von Butterfelde; er wirft einen dunklen Schatten auf die ganze Zukunft; wovon sollen wir leben? Hier ist jetzt auf meinen Antrag hin ein dritter Pfarrer, bisher Soldat gewesen, frisch, bewußt, 24 Jahre alt, und auch im Wesen und Denken jung! Ich bin froh über die Hilfe! – –

Nun noch einmal alles Gute! und viel Segen und Kraft! Dein .

An Toni schrieb ich nach Stettin; ist sie in Bremen, so sage ihr meinen Glückwunsch!1]

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