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D. 5. Apr. 1917.

Lieber Papa!

Nun ist schon mehr als ein halber Monat1] vergangen, daß ich zum letzten Mal in der Neuenburgers. war, und ich habe noch nicht geschrieben! Ich habe viel zu tun gehabt. Denn wir sind immer noch an derselben Stelle wie vorher; nur daß wir infolge Beschießung zweimal das Quartier gewechselt haben, was immer mit viel Aufregung und Zeitverlust verbunden ist. So verlor ich jetzt den Montag und Dienstag und mußte Mittwoch und Donnerstag die Karfreitags- und Osterpredigt machen. Es geht, da es muß! Auch Dir wird es nicht gut gehen in dieser Zeit; aber Du hast etwas vor Dir, das Du wie Erlösung empfinden wirst, den Urlaub und dann das Ende Deines Arbeitszwanges.... ich freue mich mit Dir und für Dich!

Am 1. Apr. kam ein Brief2] von Schwester Therese, worin sie mir mitteilt, daß Ekkehardt ein Schwesterchen bekommen hat, mein Patenkind! Und bis heute habe ich noch keine Nachricht aus Bremen, so daß ich in großer Sorge bin um Johanna! Was ist los? Und | dabei habe ich Elisabeth das Versprechen abgenommen, mir gleich zu schreiben! – – – Heute ist Mamas Geburtstag! Es ist ein Menschenleben her, daß ich sie nicht mehr habe; so fern, so undeutlich ist mir diese Zeit, daß ich nicht mehr denke, daß ich es bin, der das erlebt hat! Wie fern ist überhaupt alles, was vor dem Kriege lag! Ich hätte nie gedacht, daß das Älterwerden so wehmütig ist! – – – Neben mir liegt der Geburtstagsbrief für Greti! Am ersten Ostertag! Das ist hoffnungsvoll, und ich bin so hoffnungslos in Bezug auf den Krieg. Nun auch Amerika!3] Das ist das Geburtstagsgeschenk! Die Vermehrung der Aussichtslosigkeit vielleicht um Jahre!! Morgen ist Karfreitag! Ich predige immer nüchterner, um nichts zu sagen, was nicht volle Realität hat. Wie anders muß es sein, zu einer Gemeinde zu reden! Ich kann nichts voraussetzen.

Ich denke an Ostern in Schönfließ, die Osterruten, und das Eiersuchen im Garten! Und den Choral vom Kirchturm, und das ist ja geblieben! Dein .
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    • Tillich, Paul, Ein Lebensbild in Dokumenten : Briefe, Tagebuch-Auszüge, Berichte (EW V), hg. von Renate Albrecht, Margot Hahl, Stuttgart 1980.