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D. 19. Dez. 1916.

Lieber Papa!

Nun noch 5 Tage, dann ist der dritte Kriegsheiligabend, der dritte, den ich fern von Euch erlebe, der dritte ohne jemand, mit dem man im Tiefsten verbunden wäre, der dritte in meiner Ehe, deren schönste Jahre unwiederbringlich dahin sind, noch ehe sie angefangen hat. Es ist nicht schwer, an solchem Weihnachtsfest zu predigen, zu Menschen zu predigen, die genau wissen, daß sie im Laufe einiger Monate | mit geringen Ausnahmen in Lazarett, Grab oder Gefängnis sitzen werden, (das Letzte der Ort für die Hunderte, die bei jedem schweren Gefecht mit Nerven und Willenskraft zusammenbrechen). – – es ist nicht schwer, zu solchen zu reden. Denn sie haben ja die Voraussetzung auch der Weihnachtsbotschaft, die Sehnsucht nach Erlösung von dieser Welt. Wir erleben eine der furchtbarsten Katastrophen mit, das Ende eines ganzen Weltzustandes, den man später mit dem Ausdruck: | Wachsen und Verbreitung der europäischen Kultur benennen wird! Dieser Weltzustand geht zu Ende; und das ist von den schwersten Wehen begleitet. Aber eine solche Zeit war ja auch die Geburtsstunde des Christentums; und die ganze eschatologische Gedankenwelt, die von Lukas bis zur Offenbarung das Neue Testament durchzieht, ist nun wieder lebendig, nicht in konkret-phantastischem Sinne, sondern als Welt verneindes, Ewigkeitsgreifends Empfinden. Ich weiß nicht, ob Ihr in der Heimat auch so empfindet, oder ob | Euch Weihnachten noch die gleiche immanenzselige Freude der Kinderzeit und Vergangenheit ist. Ihr seht den Untergang nicht so wie wir und habt noch Menschen, die Ihr liebt, um Euch. – Aber ich muß Dir doch danken, daß Ihr uns immer ein solches Weihnachtsfest geschenkt habt, daß die Erinnerung daran die ganze Vergangenheit verklärt und wehmütig in die Gegenwart leuchtet.

Dir wünsche ich Kraft und Frische und Euch allen die alte Schönheit der Weihnacht in Bethlehems Kirche und Neuenburgerstrasse1]. Denkt auch an uns! Dein .
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