|
Bieuxy, d. 11. Jan. 1915.

Liebe Maria!

Nun ist soweit Friede geworden, daß ich mal zum Schreiben komme. Hab Dank für Deinen Brief ! Alles was man jetzt aus der Heimat hört macht einem Freude. Und besonders, wenn es von Freunden (und Freundinnen) kommt. Ich habe mich wirklich öfter nach dem langen Weg im Lichtenradener Garten gesehnt und als Rudi von dem Ausbau der Einreise-Festung schrieb, ward mir ganz wehmütig. Daß Du nun (endlich) zu der großen Tat des Examens Abitur kommst, freut mich sehr für Dich! Ich denke, Du wirst nachher anders ins Leben sehen, freier und fröhlicher. Hoffentlich bekomme ich bald die Nachricht mit dem "Bestanden". Im übrigen der Rat eines alten Examens-Roués: Arbeite in den letzten Tagen nur noch 1-2 Stunden den Tag, so Dinge, die man sich mal ansehen muß. Und dann betrachte die Sache mit weit geringerem Ernst als eine "Sitzung in Piccadilly". Wenn Du ins Mündliche kommst, stelle Dir vor, Du säßest in einem Lehnstuhl und hättest mit Dox eine gebildete Unterhaltung. Alles Gute, und mögest Du ein Bedauern empfinden, daß die netten Examenstage zu Ende sind!

Menschen laß derweil sein! Über Greti laß Dir keinerlei graue Haare wachsen. Du hast nicht den Schimmer einer Ahnung von ihr, und alle Gedanken, daß sie Dich| nicht leiden kann und zwischen Dich und mich tritt, sind Quatsch, nicht wert, von der Feldpost nach Frankreich befördert zu werden. Daß Du auch jemand im Felde hast, um den Du Dich sorgst, ist schön für Dich und wird Dir die Erinnerung an diese große Zeit noch wertvoller machen.

Hier ist nichts los – so würdest Du wohl sagen. Zwar zu tun hatten wir viel. Weihnachten und Neujahr hatte ich zusammen 20 Gottesdienste mit den dazugehörigen Fahrten, Ritten und Schleichwegen. Sylvester hatte ich 6 Stunden durch Sturm und Regen zu reiten. Die Weihnachtsfeiern waren herrlich, herzbewegend, gewaltig; insbesondere die in den Höhlen unter der Erde und die in den Dörfern, wo die Granaten an der Erde einschlugen und die Mauern zitterten, während wir "stille Nacht" sangen. – Jetzt aber ist eine etwas trübe Zeit. Seit 2 Monaten mit Ausnahme von 3 Tagen täglich Sturm und Regen, entsetzliches Wetter, Dreck, wie er in Rußland nicht so schlimm sein kann; Stagnation, trotzt täglicher, mit Verlusten verbundener Artilleriekämpfe. Wenn es nur bald weiter ginge, das ist der offene oder versteckte Seufzer von uns allen.

Ich hatte an Dox eine wissenschaftliche Ausarbeitung geschickt. Er schrieb mir nicht, ob sie angekommen ist. Bitte frage Mutti, ob sie etwas davon weiß und antworte sofort! Grüße alle von Herzen! Viel Glück zu den nächsten Wochen!

    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    Orte: