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Lichtenrade , den 11.08.1913

Lieber Paul!

Heute Nachmittag erst kam ich aus Doberan zurück. So hätte ich Sie doch in Berlin nicht gesehen.— Dank für Ihren Brief. Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, daß Sie ein Wiedersehen mit mir fliehen und meiden. — Glauben Sie mir, wenn ich 5 Wochen lang all das Schwere ganz allein getragen habe, daß ich in jeder Minute mich nach einer Aussprache sehne mit einem Menschen. Alles, was ich in diesen Wochen durchkämpft habe, das muß ich in mich hineindrängen. Und nebenbei mußte ich nach außen hin fröhlich sein, weil niemand etwas | ahnen sollte.— Ich will Ihnen nicht von den schweren Kämpfen erzählen. Es war gut, wenn man dabei — in Greifswald wenigstens — stundenlang, ohne einen Menschen zu sehen, im Wald liegen konnte.— Das hat mir viel geholfen.— Aber immer habe ich Sie herbeigesehnt. Oft konnte ich es kaum noch aushalten. In Doberan war es weniger still. Da hatte ich anderes, was mir schwer wurde. Mein Onkel, der Arzt, beurteilt Peters ganzes körperliches u.und geistiges (besonders) Befinden sehr ungünstig. Sie brauchen es niemand weiter zu erzählen. Den Eltern kann ich es so schroff auch nicht sagen. Er meint, daß Peter ein geistig-unnormales Kind sei, und alles übrige darauf zurückzuführen. Er meint, | daß er jetzt durch eine gesonderte Erziehung in den Entwickelungsjahren noch gesund werden könnte. Ich weiß aber nicht: Wie?— Das macht mich sehr traurig. Er hatte auch wieder in Doberan einige so scheußliche Wutanfälle, daß ich fast daran glauben muß.— In all der Trauer darum war mir der Gedanke an Sie dann immer ein Lichtblick.— Merkwürdig trotzdem äußerlich mir alles täglich hoffnungsloser erscheinen mußte, je mehr die Wirklichkeit mir wieder entgegentritt — innerlich habe ich von Tag zu Tage mehr Hoffnung. — Wissen Sie, der Fehler bei Ihnen ist der, daß Sie immer so handeln als ob ein äußerlicher Grund | Sie hindert mich zu heiraten.— Obgleich ich viel Unrecht getan habe — Ihnen gegenüber — nicht, daß ich Sie liebte, aber daß ich zu wenig an Ihre Gesundheit dachte — eigentlich habe ich doch kein Unrecht getan, vielleicht ist das mehr unglücklich — etwas jedenfalls ist auch bei Ihnen nicht ganz richtig. Sie sehen alles von einem solchen Standpunkt an.— Bitte versuchen Sie doch einmal, mich zu lieben. Ich glaube, manchmal schläft die Liebe nur. Sehen Sie, ich wußte auch mit einmal, daß ich Sie liebte — nicht allmählich kam mir die Erkenntnis, sondern in einem Augenblick. Das war am 11. April. Zunächst wollte ich es allerdings nicht wahr haben. Aber was half das? Nun glau| be ich: Bei Ihnen herrscht von vornherein das Gefühl, was ich übrigens unnormal finde: es ist ganz ausgeschlossen, daß ich Maria je heirate! Sie wollen nicht an die Möglichkeit denken!— Es ist ja möglich, wissen kann ich es auch nicht, daß dadurch, wenn Sie doch etwas von dem einen Gefühl für mich hätten, dieses erstickt wird. — Wie schwer es mir wird, hier so zu sprechen, wo ich am liebsten nur immer sagen möchte: "Ich liebe Dich", das können Sie nicht wissen. Es ist mir immer unverständlich, daß Sie mich nicht lieben, nicht etwa wegen meiner mangelhaften Vorzüge, sondern weil ich Sie so liebe!— Ich weiß ja ganz genau, daß Sie mich kennen | besser, wie jeder andere Mensch, und immer besser sollen Sie mich auch kennen lernen.— Sie würden deshalb auch genau wissen, daß Sie im großen Ganzen nicht viel von mir erwarten könnten, aber eins könnten Sie immer beanspruchen: Liebe — unendlich viel. Ach, kommen Sie doch her und lieben Sie mich.— Ich weiß nicht, wie das ist, auch einmal so geliebt zu werden, wie ich Sie liebe. Ich fühle es ja, wie es sein müßte.— Sehen Sie, ich weiß auch nicht, ob das richtig ist, aber vielleicht ist der Wille auch mit im Spiele in unserem Verhältnis zu gewissen Menschen, ebenso wie er es bei unserm Verhältnis zu Gott sein kann.— Tillich, von verschiedenen Menschen, z.B.zum Beispiel | in der Verwandtschaft werde ich ja ein wenig geliebt, aber all das gäbe ich mit Freuden hin, wenn ich nur von Ihnen geliebt würde.— Wissen Sie, Ihre ganze akademische Karriere nützt Ihnen nach dem Tode nicht mehr viel, aber wenn Sie eine Seele, die Vertrauen zu Ihnen hatte, in die Verzweifelung gestoßen haben, kann ein Teil der Schuld auf Sie fallen. Ich werde wohl nicht verzweifeln. Dazu habe ich zu viel Mut. Aber Sie müssen auch nicht nur darauf rechnen. Wenn ich z. B. manchmal die schrecklichen körperlichen Schmerzen habe, an denen ich leide, dann habe ich gar keine seelische Widerstandskraft. Geliebter Paul, wenn Sie mich jetzt einmal nur | einen Augenblick trösteten.— Alles möchte ich von Ihnen fordern. Den Ersatz für alles, was mir fehlt. Für Lisbeth, mit der ich die einzige wahre Freundschaft hatte, usw.und so weiter— Ich fordere von Ihnen Liebe. Ich habe doch das Recht dazu, einfach durch meine Liebe.— Wenn ich mir jetzt so vorstelle, daß Sie mich doch einmal liebten, dann glaube ich, müßte ich vor Glück sterben.— Denken Sie nicht vielleicht doch zu viel an sich selbst? — — Jetzt gerade möchte ich mich einmal in Ihren Armen ausruhen und ausweinen.— Sie meinen all das, was ich erkämpft habe, würde durch ein Wiedersehen zu Schanden werden. Ich glaube so und weiß es auch: Was ich erkämpft | habe, ist die Gewißheit, daß ich Sie nicht aufzugeben brauche, weil meine Liebe kein Unrecht ist. Und warum wollen Sie sich nicht lieben lassen?— Neulich las ich zufällig in einem Buch etwas, was ich mir abschreiben mußte. Nämlich folgendes: "Die ruhigen, freundschaftlichen Gefühle, zu denen man sich durchkämpft, was sind sie anders als Kirchhofsblumen, denn sie wachsen auf dem Grab, worein das lebendige Kind, das man erstickt hat, gelegt ist — des Lebens einziger, wahrer Inhalt — die Liebe — die Liebe." — — — — — Ich halte es augenblicklich für Ihre Pflicht, herzukommen, denn ich muß mit Ihnen reden. Der Schmerz kann | nicht größer werden, außerdem ist auch die Freude bei mir überwiegend. Denn der Gedanke, daß Sie überhaupt leben, erfreut mich schon.— Ich bin garnicht unglücklich. Das Wort: "Unglückliche Liebe" hasse ich. Auf mich soll es jedenfalls keiner anwenden. Liebe an sich ist immer glücklich, nur kann sie einem Unglück bringen.— Gelt, Sie sind mir nicht böse, daß ich so lang schreibe, denn ich will mir wenigstens noch einmal Luft machen. — Auch über das scheußlich Geschmiere ärgern Sie sich nicht, die Tinte ist schlecht, und die übrigen Entschuldigungen nach dem Reisemonat, treffen zu.— | Es ist schön, daß Sie sich als Freund unterschreiben. — "Clara" von Schelling las ich. Eins aber ist ausgeschlossen, daß Sie von Berlin fortgehen. Ich brauche Sie nötiger, als irgend jemand sonst sie brauchen könnte. Freuen Sie sich, daß Sie jemand braucht. Für mich wäre das wirklich Grund genug, in Berlin zu bleiben. Außerdem sollen Sie auch die Vorträge halten.— Wissen Sie, ich wollte so, Sie sollten mir helfen, daß ich all die vielen Zweifel leichter überwinde. Ihre Predigten waren vielleicht für mich nützlicher als Bahusens z.B.zum Beispiel das müßte Ihnen schon Grund genug sein, Pastor zu bleiben. Ich wollte Ihnen | auch immer bei allem helfen. Statt dessen muß ich nun immer nur beten, daß Sie mich überhaupt lieben. — Wenn Sie doch wüßten und ahnten, wie ich Sie liebe, wenn Sie überhaupt wüßten, wie man lieben kann, dann würden Sie nicht verlangen, daß ich nur freundschaftlich empfinde.— Mit Ihnen zusammen wollte ich im Leben kämpfen, u.und ich will es auch noch. Jedenfalls muß ich Sie sobald wie möglich sprechen. Äußerlich bin ich ja auch viel ruhiger geworden in den 5 Wochen. Dadurch, daß ich nicht die Möglichkeit habe, Sie bald zu sehen, bin ich rasend aufgeregt. Verstehen Sie diesen Brief? Verstehen Sie es, bitte! Ich finde es wichtiger Sie antworten mir | schneller. Das Warten macht furchtbar nervös. Meine Gedanken sind ja doch immer bei Ihnen. — — Ich liebe Sie!

Ihre Maria K.

Beantworten Sie mir, bitte, die eine Frage, ob Sie wissen, daß schon ein anderes Mädchen Sie geliebt hat? Meine Seele sehnt sich nach Ihrer. —Warum können Sie nicht? Geliebter.

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